Elisabeth Lobenwein: Wallfahrt - Wunder - Wirtschaft. Die Wallfahrt nach Maria Luggau (Kärnten) in der Frühen Neuzeit, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2013, 394 S., ISBN 978-3-89911-192-7, EUR 67,50
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In der dreiteiligen, im Jahr 2011 an der Universität Salzburg als Dissertation angenommenen Studie untersucht Elisabeth Lobenwein den Grenzwallfahrtsort Maria Luggau in Kärnten, dessen Entstehung auf eine Traumvision im Jahr 1513 zurückgeht. Die erste Kapelle wurde bald zu einer spätgotischen Kirche erweitert und ab 1730 barockisiert. Die Seelsorge der Wallfahrer oblag von 1591 bis 1635 den Franziskanern, für die seit 1593 ein Kloster gebaut wurde. Danach übernahmen die Serviten das Kloster, in dem sie, mit kurzer Pause, bis heute wirken. Sie verhalfen dem Wallfahrtsort im 18. Jahrhundert zur höchsten Blüte. Auch 80% der Mirakelberichte stammen aus dieser Zeit. Die Autorin analysiert alle 1023 Luggauer Mirakelberichte mit dem Schwerpunkt im sozialgeschichtlichen Bereich unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechterrolle. Weiter befasst sie sich mit dem Finanzgebaren und der Alltagsgeschichte der Serviten.
In der Einleitung wird im Forschungsüberblick zur Frömmigkeitsforschung eine kontroverse Debatte über die Begriffe "Frömmigkeit, Volks- versus Eliten-Frömmigkeit" geboten, wobei die Verfasserin das strikte Schema zwischen Volks- und Elitenfrömmigkeit als nicht mehr haltbar kritisiert (14). Sie positioniert sich damit entgegen der neuesten Frühneuzeit-Forschung, die gerade den heuristischen Nutzen dieser Kategorien betont und weiterhin empfiehlt, an den historisch variablen Begriffen festzuhalten, wenn für jede Epoche die sozialen Trägerschichten der beiden Religiositätsgrundtypen und ihre konkrete Interaktion und Beziehungen bestimmt werden. [1]
Der erste Block zum Thema Wallfahrt schildert daran anschließend die Geschichte des Wallfahrtswesens seit Beginn des Christentums bis zur Säkularisation, wobei auch die Entstehung und historische Entwicklung von Maria Luggau chronologisch nachgezeichnet wird. Das erste Stichwort des Titels "Wallfahrt" wird dabei jedoch bezüglich des Gnadenortes zu wenig beachtet. Obwohl die Autorin den Archivbestand bestens kennt, erwähnt sie die für die Wallfahrer wichtigen Ablassprivilegien und die von den Serviten 1644 gegründete "Erzbruderschaft der sieben Schmerzen Mariä" nicht. Dabei spielten sie eine bedeutende religiöse und soziale Rolle für die Wallfahrtsentwicklung. Die Serviten nutzten die Laienbruderschaften als wirksames Werbemittel, um neue Protektoren zu gewinnen, von denen sie ökonomische Vorteile erhofften. [2] Das Gnadenbild, eine volkstümliche Pietà um 1513, wird als Kultzentrum der Wallfahrt erst im Kapitel über die Mirakelbücher kurz angesprochen. In diesem Zusammenhang unterlaufen der Autorin bei der Beschreibung des Kirchenbaus, der Fresken und der Gnadenstatue einige fachbegriffliche Fehler (zum Beispiel: gotische Strebepfeiler sind nur am Außenbau, nie in einem Innenraum zu finden).
Im zweiten, umfangreichsten Themenblock über die Luggauer Mirakelbücher widmet sich Lobenwein dem Wunder versus Mirakel, dem Wunderglauben und -verständnis. Sie analysiert die Berichte und untersucht die Hilfesuchenden mit ihren Wallfahrtsanliegen unter medizinischen, anthropologischen, sozialen sowie alltagsgeschichtlichen Aspekten. Besonders gründlich beleuchtet sie dabei das frauenspezifische Thema der Schwangerschaft und der Geburt. Sie kommt zum Schluss, dass in der "Welt des Wunders" auch Frauen mit 32,7% Gebetserhörungen eine entscheidende Rolle einnahmen (134). Weiter wendet sie sich gegen die These des Kulturhistorikers Philippe Ariès, der behauptet, dass in der Frühen Neuzeit die Eltern kaum eine emotionale Bindung zum Kind gehabt hätten (176). Wie Lobenwein zeigt, betreffen 20,6 % der Mirakelberichte Kinder und so wird deutlich, dass ihr Schicksal den Eltern keineswegs gleichgültig war (187).
Zu der kindlichen "Wunderwelt" gehörte auch das "Taufwunder", die wunderbare Wiedererweckung tot geborener Kinder. In einer Fallstudie untersucht Lobenwein dabei auch die Bedeutung der Nicht-Taufe und den Umgang mit nicht getauften Kindern (204). Maria Luggau gehört mit 43 Taufwundern zu den bekanntesten Wiedererweckungsorten in Österreich. Eine anschließende zweite Fallstudie beschäftigt sich mit dem "Galgenwunder", bei welchem ein Mörder seine Räderung 1663 überlebte. Da sich der Delinquent bei dem Vollzug der Strafe nicht nur an die Maria von Luggau, sondern auch an die Madonna von Altötting verlobte, zeigt die Autorin, wie beide Wallfahrtsorte dieses seltene Wunder für ihre eigene Werbung verwendeten (228). Dabei erwähnten beide Gnadenstätten den anderen Wallfahrtsort nicht in ihrem Mirakelbericht. Anzumerken bleibt dabei, dass die meisten Vergleichsdaten zu den Luggauer Mirakelbüchern leider aus Mittelalterstudien und nicht aus Studien zur Frühen Neuzeit herangezogen werden.
Im dritten Teil legt Lobenwein ihren Fokus auf die Wirtschaftsweise und die Erwerbspolitik des Klosters. Für eine Momentaufnahme wählt sie die Jahre 1739-1743 aus, für die sie die Rechnungsbücher der Serviten auswertet und den regulären Finanzhaushalt wie auch ihre Alltagsgeschichte beleuchtet. Dabei zeigt sich, dass sich die Messstiftungen zu einer bedeutenden Einnahmequelle unter den Serviten entwickeln konnten. Ihre Zinsen deckten nach 1730 mehr als die Hälfte der regulären Einnahmen (275). Den größten regulären Ausgabenposten bildeten die Einkäufe von Lebensmitteln (280). Die Verfasserin listet minutiös die Küchenausgaben auf und versetzt den Leser in die gar nicht so asketische Gourmetwelt der Mönche (40.000 Schnecken in fünf Jahren, Frösche, Safran). Das erst nach 1732 neu gebaute Kloster fiel 1738 einem Feuer zum Opfer. 1746 war der Wiederaufbau abgeschlossen und das klösterliche Wirtschaftssystem konnte sich bestens bewähren. Für 1.000 fl von 7.893 fl der Erneuerungskosten musste ein Darlehen aufgenommen werden. 52% der Kosten erhielt das Kloster vom Provinzialat, 400 fl aus der Ausschüttung der Brandsteuer, 550 fl vom Bozner Magistrat, 1741 die gesamte Almosensammlung in Kärnten und so weiter. Es wäre interessant zu überprüfen, ob auch andere (Serviten-)Klöster bei einem Wiederaufbau auf ähnliche Hilfe des Provinzialat oder die Unterstützung von der Feuerversicherung hoffen konnten oder ob es sich im Fall von Maria Luggau um eine "einmalige" Krisenstrategie handelte.
Trotz der genannten Kritikpunkte liefert Lobenwein in ihrer Dissertation viele neue Erkenntnisse über den abgeschiedenen, dennoch bedeutenden Wallfahrtsort Maria Luggau und verdient Lob für ihre akribische Quellenarbeit. Schade, dass Vergleiche von anderen frühneuzeitlichen Wallfahrtsorten fehlen.
Nicht einfach übergehen möchte die Rezensentin eine Feststellung zur Genese der 394 Seiten umfassenden Studie. In deren Vorwort gibt Lobenwein an, dass es sich um eine kürzere Fassung ihrer Dissertation handele. Dass sie für diese aus ihrer 178 Textseiten umfassenden, 2007 beendeten Diplomarbeit "Medizin- und sozialgeschichtliche Aspekte der Mirakelberichte von Maria Luggau in Kärnten (1740-1800)", in der sie bereits 660 Luggauer Mirakelaufzeichnungen (von nun 1022) untersuchte, etwa 130 Textseiten wortwörtlich oder leicht verändert mit neuen Fußnoten übernommen hat, vermerkt sie nicht. Nur an einer Stelle (128) gibt sie an, eine Tabelle aus ihrer Diplomarbeit verwendet zu haben.
Anmerkungen:
[1] Volker Speth: Katholische Aufklärung, Volksfrömmigkeit und "Religionspolicey", in: Europäische Wallfahrtsstudien 5 (2014), 1-26.
[2] Veronika Čapská: Představy společenství a strategie sebeprezentace. Řád servitů v habsburské monarchii (1613-1780), [Gemeinschaftsvorstellungen und die Strategie der Selbstpräsentation. Der Servitenorden in der Habsburgermonarchie (1613-1780)], Praha 2011, rezensiert von Jana Niedermaier, in: Bohemia 51 (2011), H. 2, 488-490.
Jana Niedermaier