Guido Braun / Arno Strohmeyer (Hgg.): Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte; 36), Münster: Aschendorff 2013, XXVII + 471 S., ISBN 978-3-402-14764-1, EUR 58,00
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Festschriften eilt nicht selten der Ruf inhaltlicher Heterogenität und Beliebigkeit voraus. Wenn es eines Beispiels bedarf, diesen Generalverdacht zu zerstreuen, dann bietet sich der vorliegende, zum 65. Geburtstag des Bonner Historikers Maximilian Lanzinner erschienene Sammelband an. Thematisiert wird mit der Friedenssicherung im Europa der Frühen Neuzeit ein Hauptarbeitsgebiet des Jubilars - und dies in einer Weise, die jedem wissenschaftlichen Kolloquium zur Ehre gereichen würde. Auf ein hohes Niveau eingestimmt werden die Leserinnen und Leser bereits in der Einleitung, in der die Herausgeber Guido Braun und Arno Strohmeyer die Horizonte und Erkenntnispotentiale vormoderner Friedensforschung unter Hinweis auf die Ergebnisse der 16 Einzelbeiträge und die in ihnen beispielhaft erkennbare Pluralität inhaltlicher und methodischer Zugänge sorgfältig ausleuchten. Wert legen sie dabei auf die grundsätzliche - und auch für die Konzeption des Bandes bedeutsame - Feststellung, dass am Beginn der Neuzeit noch sehr unscharf zwischen "innerer" und "äußerer" Friedenswahrung unterschieden wurde. Für das Alte Reich drängt sich diese Einsicht in ganz besonderer Weise auf.
So sind die sechs Beiträge der ersten Sektion des sich in drei Abteilungen gliedernden Bandes um das Thema "Landfriedenswahrung und Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert" gruppiert, womit nicht zuletzt auch die verfassungsstrukturell bedingten Verschränkungen und typologischen Analogien in der Konfliktbewältigung auf Reichs- sowie inter- und innerterritorialer Ebene in den Blick genommen werden. Hervorzuheben sind in diesem Kontext die Beobachtungen Dietmar Heils zur Friedensproblematik auf den Reichstagen Kaiser Maximilians I., deren Agenden von insgesamt vier Bereichen - äußere Sicherheit, Neuordnung von Landfrieden und Reichsjustiz, Beilegung aktueller interterritorialer Konflikte sowie Eindämmung lokaler Friedensstörungen - bestimmt wurden (35-78). Ungeachtet des Scheiterns der gegen das Fehdewesen und eine ausufernde Gewaltkriminalität gerichteten Initiativen der maximilianeischen Reichstage kommt der Autor zu dem zutreffenden Fazit, dass auf lange Sicht durch die Impulse, die von der 1495 verkündeten Wormser Ordnung ausgingen, die Transformation des Reiches zum Friedens- und Rechtsverband gefördert wurde. Wie sehr dennoch davon abgesehen werden muss, die Entwicklung der Friedenssicherung im Reich im Sinne einer Erfolgsgeschichte zu interpretieren, unterstreichen exemplarisch die Reichsdeputationstage nach dem Augsburger Religionsfrieden, deren "durchwachsene", zusehends von konfessioneller Polarisierung beeinträchtigte Bilanz als - an sich viel versprechende - Instrumente des Konfliktmanagements der Beitrag von Marc von Knorring aufzeigt (93-116).
Das ungeachtet aller Wege, Irrwege und Grenzen zeitgenössischer Friedenssicherung in den Beiträgen der ersten Abteilung aufscheinende Phänomen einer institutionellen Verdichtung des Friedensmanagements im Reich des 16. Jahrhunderts ist auch im Hinblick auf die vier Aufsätze in der zweiten Sektion des Bandes zu verzeichnen. Diese widmen sich dem Westfälischen Friedenskongress, womit verstärkt auch Sicherheitskonzeptionen sowie die Friedensproblematik in ihrer europäischen Dimension in den Fokus rücken. So thematisiert etwa Michael Rohrschneider mit den Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen für den geplanten Kölner Kongress 1636 und für die Westfälischen Friedensverhandlungen 1645 einen von der Forschung bislang vernachlässigten Gegenstandsbereich und revidiert dabei en passant die Auffassung, dass Formen kollektiver Sicherheit weitgehend auf französische Konzeptionen beschränkt geblieben seien (183-209). Das für den Reichsverband als strukturelle Dominante europäischer Politik charakteristische und partiell verschränkte Nebeneinander interner und auswärtiger Friedenssicherung findet u.a. ein Echo in den Beiträgen von Konrad Repgen über den kaiserlichen Chefunterhändler Maximilian Graf Trauttmansdorff (211-228) sowie von Maria-Elisabeth Brunert, die sich der beachtlichen politischen Erfolgs- und Leistungsbilanz der protestantischen Reichsstände widmet (229-258). Letztere antizipierten seit 1645 im Rahmen der reichsständischen Ausschuss- und Gremienarbeit in intensiven, vom Pragmatismus bestimmten Beratungen wesentliche Lösungen, die als Maßnahmen der Friedenssicherung auch Eingang in die Vertragswerke von 1648 finden sollten.
Die inhaltlich-methodische Pluralität - in den ersten beiden Abteilungen bereits erkennbar in der zwischen "innerem" und "äußerem" Frieden sowie akteursorientierter und institutioneller Perspektive oszillierenden Sicht - setzt sich in der dritten Sektion verstärkt fort. Sie widmet sich den Leitvorstellungen, der Ökonomie, den Medien und der Kultur des Friedenschließens vom 16. bis 18. Jahrhundert. Unter den sechs Beiträgen hervorgehoben sei hier neben Guido Brauns anregenden Beobachtungen zu "Frieden und Gleichgewicht bei Leibniz" (293-321) und Arno Strohmeyers eindringlicher Analyse des Friedensschließens unter den Bedingungen ausgeprägter kultureller Differenz (413-438) noch die Abhandlung von Christoph Kampmann, der sich nicht mit Instrumenten der Friedenswahrung, sondern, ganz im Gegenteil, mit dem Phänomen intendierter Konflikteskalation beschäftigt (323-348). Am Beispiel der auf Geheiß Kaiser Leopolds I. ins Werk gesetzten Entführung Wilhelm Egons von Fürstenberg 1674 sowie des - allerdings nur kurzfristig - im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges gehegten kaiserlichen Plans zur Verschleppung des französischen Gesandten Louis Rousseau de Chamoy gelingt es dem Autor, ein in mancherlei Hinsicht überraschendes und traditionelle Sichtweisen revidierendes Bild der Politik des Wiener Hofes zu zeichnen.
Ohne Frage legt man den Band, der einen überaus veritablen Beitrag zur Forschung leistet, nach der Lektüre mit einer Vielzahl neuer Erkenntnisse und Einsichten aus der Hand. Einziges Manko ist der - angesichts der ausdrücklichen Einbeziehung der innerstaatlichen Perspektive bedauerliche - Verzicht auf eine eigene Abhandlung zum vielschichtigen, in den 1980er-Jahren eine beträchtliche Konjunktur erlebenden und seinerzeit mit Namen wie Peter Blickle, Volker Press und Winfried Schulze verbundenen Themenbereich "Konfliktbewältigung und Friedenssicherung in Untertanenkonflikten". Der schon erwähnte Beitrag von Dietmar Heil (s.o.) sowie auch die aufschlussreichen Ausführungen von Josef Leeb über Supplikationen auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (117-154) streifen diesen Aspekt eher am Rande. Allerdings muss der Rezensent einräumen, dass der spezifische Schul- und Forschungszusammenhang, der sich nicht selten hinter einer Festschrift verbirgt, verständlicherweise zu gewissen Prioritäten im thematischen Zugang führt und von daher nicht jeder denkbare Aspekt in der Bandkonzeption berücksichtigt werden kann.
Helmut Gabel