Thomas Riegler: Im Fadenkreuz: Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985 (= Zeitgeschichte im Kontext; Bd. 3), Göttingen: V&R unipress 2011, 520 S., 17 Abb., ISBN 978-3-89971-672-6, EUR 64,99
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Dass der sozialdemokratische Politiker Bruno Kreisky (1911-1990) als österreichischer Bundeskanzler von 1970 bis 1983 eine auf Prävention gerichtete Antiterrorpolitik gegenüber dem Nahen Osten vertreten hat, ist unbestritten. Das spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass er die ersten informellen Friedensgespräche zwischen Israel und den arabischen Staaten unterstützte. Gerade durch diese präventive Konfliktentschärfung sollte die Sicherheitslage in Österreich verbessert werden. In diesem Zusammenhang darf nicht unterschätzt werden, in welchem Maße der Nahostterrorismus für die Zweite Republik Österreichs eine Herausforderung bedeutete. Tatsächlich wurden dort im Zeitraum von 1973 bis 1985 etliche Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern - nicht zuletzt zwischen arabischen Gruppen untereinander - ausgetragen. Es handelte sich um die Geiselnahme von Schönau (1979) und um den Überfall unter Führung von Ilich Ramírez Sánchez ("Carlos") auf das Hauptquartier der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in Wien, verbunden mit der Geiselnahme mehrerer Erdölminister (1975). Des Weiteren sind anzuführen: die Ermordung des Wiener Stadtrats Heinz Nittel durch ein Mitglied der Terrororganisation Abu Nidal (1981), der Anschlag auf die Wiener Synagoge (ebenfalls 1981) und der Terroranschlag auf den Schalter der Fluggesellschaft El Al auf dem Flughafen Wien-Schwechat (1985). Insgesamt kamen neun Menschen ums Leben, verletzt wurden 71 Personen. Ungeachtet dessen konstatiert Thomas Riegler zu Recht, dass Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten in den 1970er und 1980er Jahren von terroristischer Gewalt einigermaßen verschont blieb (451).
Vor diesem Hintergrund geht es in Rieglers Arbeit primär um die Fragen, wie die Antiterror-Strategie der Regierung Kreisky, ihre Besonderheit im internationalen Vergleich, ihre Erfolge, Misserfolge und Motive, überhaupt das außergewöhnliche Engagement im Nahen Osten zu bewerten sind. Trotz der Komplexität allein dieser Fragen sind für den Verfasser noch weitere Forschungsfragen relevant: "Über die Moderation des Nahostkonflikts verfolgte Kreisky auch das Ziel, den Terrorismus von Österreich fernzuhalten - ist er mit diesem Vorsatz gescheitert oder wurde 'Schlimmeres' verhindert? Welche machtpolitischen Interessen und Abhängigkeiten speisten den internationalen Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre?" (15). Kritisch ist hier Rieglers Auffassung zu hinterfragen, wonach unter dem Begriff Terrorismus "eine wertneutrale Methode" (17) zu verstehen sei. Ebenso trifft es nicht zu, dass die von Peter Waldmann explizit herausgestellte Kommunikationsstrategie - bezogen auf den terroristischen Akt - für die 1970er und 1980er Jahre nur eine geringe Bedeutung hatte respektive "nicht als vorherrschend angesehen" werden könne. [1]
Interessant ist aber die zentrale These der Studie. Demnach sei Österreich durch seine sichtbare internationale Rolle in den 1970er Jahren in den Nahostkonflikt verwickelt worden, wobei der Terror einen Fall von "Blowback" zu dieser Initiative darstelle, eben eine nicht intendierte, negative Konsequenz. Dieser "Blowback" der Nahostinitiative habe darin bestanden, dass die Gegner Jassir Arafats, unterstützt von Staaten wie Irak, Libyen und Syrien, Österreich zur Aufgabe seiner PLO-freundlichen Linie zwingen wollten. Dazu sei es aber erst Mitte der 1980er Jahre gekommen, nachdem Kreisky bereits aus dem Amt geschieden war.
Quellenmäßig stützt sich der Verfasser auf bisher noch nicht ausgewertete Gerichtsunterlagen, eingesehen am Landesgericht Wien, auf umfangreiche Bestände der Stiftung Bruno Kreisky Archiv sowie auf Dokumente des Berliner Zentralarchivs der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Darüber hinaus wurden Interviews mit ehemaligen Entscheidungsträgern aus Politik, Justiz und Polizei geführt.
Die Studie ist in zehn Kapitel gegliedert. Das Erkenntnisinteresse, die Fragestellung, die zentrale These und die Quellenbasis der Arbeit werden im Vorwort erläutert. Während im ersten Kapitel die Ausprägungen und Formen des Terrorismus in Österreich, die gesetzlichen Maßnahmen und die polizeiliche Terrorbekämpfung behandelt werden, geht es im zweiten Teil um die zentrale Figur Bruno Kreisky und um seine Nahostpolitik, angefangen bei der Anerkennung der PLO, aber auch um sein Verhältnis zu Israel, zum PLO-Führer Arafat und zum Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Hierauf aufbauend setzt der Verfasser sich in den nächsten Abschnitten mit den Tätern, Motiven und Ereignissen auseinander. Allerdings wäre hier eine stärkere Verknüpfung der einzelnen Aspekte sinnvoll gewesen, um eine größere Stringenz des Themas herzustellen. Aber überzeugend wird im fünften und sechsten Kapitel herausgearbeitet, welche Konflikte hinter den Kulissen, insbesondere die Kontroversen um die Inhaftierten, existierten. Treffend konstatiert Riegler unter dem Titel "Die Sponsoren des Terrors" (Syrien, Irak, Libyen), dass die Schlüsselrolle Syriens im Zusammenhang mit dem Terror der Abu-Nidal-Gruppe von den österreichischen Verantwortlichen früh erkannt worden sei. Aufschlussreich zu Libyen ist in diesem Kontext seine folgende Aussage: "Ungeachtet der schon in den 1980er Jahren konkreten Verdachtslage gegen Libyen blieb Österreich dennoch um freundschaftliche Beziehungen bemüht" (387). Im vorletzten Kapitel werden im Kontext der Antiterrorpolitik die Reaktionen im Inland beleuchtet. In der Zusammenfassung (zehntes Kapitel) wird als Ergebnis festgehalten, dass die Rechnung von Kreisky - durch den präventiven Charakter seiner Nahostpolitik terroristische Anschläge in Österreich zu verhindern - nicht aufgegangen sei. Wichtige Erklärungsmuster sind nach Ansicht des Verfassers, dass Arafat nicht in der Lage gewesen sei, die zutiefst zersplitterte PLO zu kontrollieren, und die israelische Libanoninvasion von 1982 zu einer neuerlichen Radikalisierung geführt habe: "Dafür erlebten die Hardliner neuen Auftrieb" (454).
Auf einige inhaltliche Ungenauigkeiten, grammatikalische Schwächen und fehlende Präzisierungen muss hingewiesen werden. Eine sorgfältige Abschlusskorrektur wäre sinnvoll gewesen. Auch bleibt es zweifelhaft, ob Österreich tatsächlich ein wichtiges Rückzugsgebiet für RAF-Mitglieder darstellte und sich Mitglieder der "dritten Generation" - wie der Verfasser behauptet - immer wieder in Wien aufhielten. Dass Berichte von Mitgliedern der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT), wie andere Bestände auch, quellenkritisch gelesen und eingeordnet werden müssen, versteht sich eigentlich von selbst (24). Auch die folgende Annahme trifft nicht zu: "Die geheime Präsenz der RAF wurde am 15. September 1999 schlagartig deutlich, als der 43jährige mutmaßliche RAF-Aktivist Horst Ludwig Meyer und seine Partnerin Andrea Klump in eine Polizeikontrolle gerieten" (25). Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die RAF im September 1999 bereits nicht mehr existierte - sie hatte sich am 20. April 1998 aufgelöst. Zum anderen ist bis heute ungeklärt, ob Andrea Klump wirklich der RAF angehörte; ihre Mitgliedschaft konnte nie nachgewiesen werden.
Insgesamt handelt es sich um eine aufschlussreiche Studie, die differenziert die Herausforderung durch terroristische Gruppen in Österreich untersucht und damit ein bislang vernachlässigtes Thema transparent macht.
Anmerkung:
[1] Peter Waldmann: Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, 13.
Gisela Diewald-Kerkmann