Thomas Riegler: Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien, Innsbruck: StudienVerlag 2009, 635 S., ISBN 978-3-7065-4604-1, EUR 79,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Shelley Harten: Reenactment eines Traumas: Die Entebbe Flugzeugentführung 1976. Deutsche Terroristen in der israelischen Presse, Marburg: Tectum 2012
Michael Sontheimer: "Natürlich kann geschossen werden". Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion, München: DVA 2010
Claudia Brunner: Wissensobjekt Selbstmordattentat. Epistemische Gewalt und okzidentalistische Selbstvergewisserung in der Terrorismusforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011
Gisela Diewald-Kerkmann: Frauen, Terrorismus und Justiz. Prozesse gegen weibliche Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni, Düsseldorf: Droste 2009
Matthias Dahlke: Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa 1972-1975, München: Oldenbourg 2011
Arnd Bauerkämper / Grzegorz Rossoliński-Liebe (eds.): Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, New York / Oxford: Berghahn Books 2017
Robert Allertz: Die RAF und das MfS. Fakten und Fiktionen. In Zusammenarbeit mit Gerhard Neiber (†), Berlin: Das Neue Berlin 2008
Julia Dolfen: Globalisierte Gewalt. Wie die Angst vor Terror Deutschland und die Niederlande veränderte, Marburg: Tectum 2008
Es ist beinahe unmöglich, den Überblick über die neue Literatur zum Thema "Terrorismus" zu behalten: Nicht erst seit den Anschlägen des 11. September 2001 spiegelt sich das Interesse für dieses Thema in einer Unmenge von Literatur wider. Im Gegensatz zur stetig ansteigenden Quantität entbehren jedoch nach wie vor viele Beiträge der nötigen Qualität. Auch fehlte bislang eine umfassende deutschsprachige Gesamtdarstellung neueren Datums.
Einen ersten Versuch, diese Lücke zu schließen, unternahm Thomas Riegler, der in Wien und Edinburgh Geschichte und Politik studierte. Im Jahr 2010 legte er seine Studie "Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien" vor, bei der es sich um die leicht überarbeitete Fassung seiner Doktorarbeit handelt. Sie ist in drei Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil breitet der Autor das Grundlagenwissen über den Terrorismus aus. Dabei liefert er in erster Linie eine ausführliche Synthese des derzeitigen Forschungsstandes zu Geschichte, Methode, Definition und Ursachen des Terrorismus. Der zweite Abschnitt, der mit ca. 100 Seiten der kürzeste ist, widmet sich der Interpretation, Konstruktion und Bebilderung - so der Autor - von Terrorismus. Riegler betont die Bedeutung des "Kriegs der Bilder" der terroristischen Strategie, deren Ziel es ist, die Öffentlichkeit zu schocken und die Regierungen unter Druck zu setzen. Im letzten Teil seiner Arbeit geht er auf mögliche staatliche Reaktionsmuster gegenüber dem Terrorismus ein und zeigt auf, dass etliche Versuche staatlicher Anti-Terrorismus-Politik kontraproduktiv waren. Einzig eine langfristige, auf eine Ursachenbekämpfung hin ausgerichtete Strategie könne in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus erfolgreich sein.
Rieglers Studie ist nach den Ereignissen vom 11. September 2001 der erste ernstzunehmende Versuch, einem deutschsprachigen Publikum das Thema "Terrorismus" in seiner gesamten Breite zu vermitteln. Sein größtes Verdienst ist es, mit den Akteuren, Strukturen und Entwicklungslinien drei zentrale Aspekte zum Verständnis des Phänomens herauszugreifen. Er legt eindringlich dar, dass nicht die Bekämpfung der tatsächlichen terroristischen Gewalt von essentieller Bedeutung ist, sondern aufgrund des terroristischen Selbstverständnisses vor allem die kommunikative Ebene. Aus diesem Grund erhielt Rieglers Studie auch viel Zuspruch. [1] Bei genauerem Hinsehen kann sie jedoch einige - vielleicht auch zu hohe - Erwartungen nicht erfüllen. Drei Punkte seien im Folgenden näher herausgegriffen, um die Probleme zu veranschaulichen.
Erstens stützt sich Riegler vor allem auf bereits bekanntes Wissen, was bei genauer Kenntnis gerade der englischsprachigen Terrorismusliteratur ersichtlich wird. Die Geschichte des Terrorismus anhand eines "Wellenmodells" zu beschreiben, Terrorismus als Kommunikationsstrategie zu verstehen und weniger sozioökonomische Ursachen für den Terrorismus in den Mittelpunkt der Forschung zu stellen, den "performativen" Überbau zu untersuchen, den Terrorismus als Ideen- und Bedeutungskomplex, als Ausdruck von Fantasien, Sehnsüchten und Projektionen zu begreifen oder seine Botschaft, dass letztlich nur eine Bekämpfung der Ursachen erfolgreich sein könne - all das ist nicht revolutionär, wenngleich eine deutschsprachige Synthese dieser Aspekte bislang fehlte. In diesem Zusammenhang verwundert es jedoch, dass Riegler keinen Aufsatz aus zwei führenden Zeitschriften zur Terrorismusforschung ("Terrorism and Political Violence" sowie "Studies in Conflict & Terrorism") rezipierte. Des Weiteren beschränkt sich Riegler vielfach auf eine deskriptive Herangehensweise. Dies wird deutlich, wenn er Aussagen von Terroristen und Politikern wiedergibt, ohne diese zu hinterfragen oder den Quellenwert derartiger Statements kritisch zu analysieren.
Freilich versucht auch Riegler vereinzelt - insbesondere im zweiten Teil seiner Arbeit -, weiterführende Überlegungen anzustellen, die jedoch zum Widerspruch anregen. So ist eine seiner zentralen Thesen, den Begriff "terroristisch" auch auf staatliche Aktionen auszudehnen, problematisch, insbesondere wenn er zunächst Terrorismus als eine gegen Autoritäten gerichtete Strategie begreift. (10) Auch die Annahme, dass die terroristische Gewalt vor allem auf eine symbolische Bedeutung reduziert werden kann, erscheint zu eng, um das äußerst komplexe Phänomen zu beschreiben.
Zweitens entgeht auch Riegler nicht der Gefahr, dass sich bei dem Versuch, eine Gesamtdarstellung zu schreiben, gerade in Details immer wieder Fehler einschleichen. So bleiben zum Beispiel seine Anmerkungen zum Terrorismus in Italien und zur staatlichen Reaktion einseitig und fehlerhaft: Mario Sossi wurde nicht 1975, sondern ein Jahr früher entführt, die Hochphase des Rechtsterrorismus lag - wie des Linksterrorismus - in den 1970er und nicht in den 1980er Jahren, und auch Namen werden falsch geschrieben (z. B. Fluvio Crocere anstatt Fulvio Croce). Den italienischen Rechtsterrorismus als staatliche Form des Terrorismus zu bezeichnen, verkennt, dass dies nach wie vor ein stark umstrittenes Thema italienischer Zeitgeschichtsforschung ist.
Drittens ist auch die formale Darstellung teilweise zu beanstanden. Die Studie Rieglers weist Redundanzen auf, die den Lesefluss stören. Es werden sogar einzelne Absätze mehr oder weniger identisch übernommen (z. B. auf Seite 75 und Seite 395 oder auf den Seiten 115 f.). Auch das Personen- und Sachregister ist wenig hilfreich. Dies liegt nicht nur am geringen Umfang von dreieinhalb Seiten, sondern auch daran, dass die Auswahl der aufgenommenen Namen willkürlich erscheint. Quellen - sieht man von den einzeln aufgeführten Presseartikeln und den Internetpublikationen ab - verwendet Riegler nicht.
Diese Monita verdeutlichen, dass Rieglers ehrgeizige Studie nicht in allen Bereichen überzeugen kann und gerade in den Details mit Vorsicht zu lesen ist. Dennoch gehört sie zu den wenigen aktuellen deutschsprachigen Werken, in denen versucht wird, das Thema "Terrorismus" umfassend darzustellen und den aktuellen Forschungsstand wiederzugeben. Aus diesem Grund ist die Leistung Rieglers trotz der Einwände zu würdigen.
Anmerkung:
[1] Vgl. u. a. Rezension von Alex P. Schmid in: Perspectives on Terrorism, Vol. IV (2010) Nr. 3, 73.
Tobias Hof