Rezension über:

Stephan Kieninger: Dynamic Détente. The United States and Europe, 1964-1975 (= The Harvard Cold War Studies Book Series), Lanham, MD: Lexington Books 2016, XXX + 357 S., ISBN 978-1-4985-3241-9, USD 110,00
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Rezension von:
Rolf Steininger
Innsbruck
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Rolf Steininger: Rezension von: Stephan Kieninger: Dynamic Détente. The United States and Europe, 1964-1975, Lanham, MD: Lexington Books 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/28657.html


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Stephan Kieninger: Dynamic Détente

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Für US-Präsident Ronald Reagan war Détente, d.h. Entspannungspolitik, gleichbedeutend mit westlicher Schwäche, eine Einbahnstraße zum Vorteil der Sowjetunion, die eine "ungeheuerliche Kriegsmaschinerie" aufgebaut und die "Entspannung zu unseren Lasten und ihrem Vorteil ausgenutzt habe", so Reagan 1982 auf dem NATO-Gipfel in Bonn. Und er stellte die Frage: "Ist nicht die Zeit gekommen, zu handeln, und sind es nicht wir, die handeln müssen?" [1]

Reagan handelte bekanntlich, und mit ihm kam das Ende der Entspannung. Das wiederum war die Voraussetzung für das Ende des Kalten Krieges. Dies ist die allseits anerkannte Sicht der "Traditionalisten" unter den Historikern. Stephan Kieninger hält dagegen: "This book tells a different story though." (XI) Und die geht so: Die Kraft der Politik der Entspannung habe Europa "im Schatten des militärischen Status quo" verändert - mit dem Höhepunkt der Schlussakte von Helsinki am 1. August 1975. Kieninger legt hier seine überarbeitete, habilitationsähnliche Dissertation an der Universität Mannheim vor, eine quellengesättigte Studie, in der er in elf Kapiteln seine These erläutert. Die Détente wird darin zur "dynamischen Détente"; damit wird auch gleich die Richtung des Buches deutlich: Détente als Erfolgsgeschichte.

In den 1950ern gab es in Washington mit der "roll back"-Politik keine Chance für Détente. US-Präsident Eisenhower nannte Russland im Dezember 1953 einmal eine Hure, die sich nach Stalins Tod zwar neue Kleider angezogen habe, aber dieselbe Hure geblieben sei. Er war entschlossen, "diese Hure von ihrem jetzigen Strich wieder in den Hinterhof zu treiben". [2] Nach dem Gipfeltreffen in Genf im Juli 1955 gab es zwar den Entspannungs-"Geist von Genf". Der endete aber schon im November 1956, als die Sowjetunion den Aufstand in Ungarn blutig niederschlug. US-Präsident Lyndon B. Johnson wird dann bei Kieninger zum "Brückenbauer" - zum "bridge builder". Ausgehend von einer entsprechenden Formulierung in einer Rede Johnsons vom Oktober 1966, zielte dieses Konzept auf den Aufbau von möglichst vielen Kontakten und "vertrauensbildenden Maßnahmen" zwischen dem Westen und dem abgeschotteten Osten. Den Regimes dort sollte so jene Sicherheit vermittelt werden, die es ihnen langfristig erlauben würde, sich dem Westen zu "öffnen" (314).

Johnson verstrickte sich zwar mehr und mehr in den Vietnamkrieg, hatte aber dennoch eine Europa-Agenda, wie schon mit Nachdruck Thomas A. Schwartz betont hat. [3] Die Frage hierbei lautet allerdings: Ging es Johnson bei dieser Agenda primär darum, mit Détente den Eisernen Vorhang zu durchlöchern oder doch eher darum, gemeinsam mit den Sowjets die Westdeutschen von ihrem "wachsenden Hunger nach Atomwaffen" ("incipient appetite for the nuclear") abzubringen, wie das der britische Premierminister Macmillan schon 1963 so trefflich formuliert hatte? [4] Bei letzterem trafen sich Amerikaner und Briten denn auch mit den Sowjets; dazu diente u.a. der Atomwaffensperrvertrag vom 1. Juli 1968 (den dann die sozial-liberale Koalitionsregierung am 28. November 1969 unterschrieb; Bundeskanzler Kiesinger hatte entsprechende Überlegungen 1967 noch als "eine Form des atomaren 'Komplizentums'" der Großmächte attackiert; Altbundeskanzler Adenauer hatte gar von einem "Morgenthau-Plan im Quadrat" gesprochen.) [5] Ansätze von damit verbundener Détente zwischen Moskau und Washington endeten im August 1968 mit der Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Truppen des Warschauer Paktes. Johnsons Resümee damals: "Der Kalte Krieg ist nicht vorbei." [6]

Haben Amerikaner, Briten und Deutsche während der Großen Koalition in Bonn (1966-1969) wirklich die "Blaupause" für Willy Brandts spätere Ostpolitik diskutiert, wie der Autor konstatiert (XX)? Kieninger argumentiert weiter, dass diese Politik US-Präsident Nixon und Brandt die Gelegenheit verschafft habe, Détente auf breiter Basis zu verfolgen - "allerdings mit unterschiedlichen Zielen" (XXI). Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger stellte schon 1970 klar: "Wenn schon Entspannung mit der Sowjetunion gemacht werden soll, dann machen wir sie!" - und nicht etwa Brandt. [7]

Die "Entspannungspolitik" von Nixon und Kissinger ist das wohl spannendste Kapitel bei Kieninger. Beide waren keine "Brückenbauer". Sie waren gefangen im Vietnamkrieg und wollten den Status quo - mit Vorteil für die USA - auf höchster Ebene festschreiben. Mit ihnen verbinden wir das Abrüstungsabkommen SALT I; damit wollten beide der Sowjetunion zwar den Status der Gleichberechtigung zubilligen - Verhandlungen auf Augenhöhe -, allerdings mit der klaren Absicht, im nuklearen Bereich das Übergewicht zu behalten. In SALT I wurden die viel zitierten MIRVs (Multiple Independently Targeted Reentry Vehicles, also Mehrfachsprengköpfe auf Atomraketen, die unabhängig voneinander ihr Ziel treffen konnten) nicht erwähnt. Nixon und Kissinger hofften, den technologischen MIRV-Vorsprung lange halten zu können - was sich als Irrtum herausstellte. Die Sowjets waren bereits 1973 "MIRV-fähig". Das spannende Kapitel über den "MIRV Mistake" (108-121) zeigt, wie Kissinger als Reaktion darauf auf die Position der "Brückenbauer" im State Department einschwenkte, deren Arbeit er lange nur mit "wohlwollender Neutralität" begleitet hatte - wenn überhaupt. Jetzt führte er deren Arbeit im Zusammenspiel mit seinem sowjetischen Kollegen Gromyko entschlossen zu Ende.

Das Ergebnis war dann im August 1975, nach zwei Jahren Verhandlungen von 400 Diplomaten aus 35 Ländern in 2341 Sitzungen, die "Schlussakte" der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" mit ihren drei "Körben". Mit der in erster Linie die Sowjets ihr Ziel erreicht hatten: die Anerkennung der Nachkriegsordnung und eine multilaterale Sanktionierung der Ostverträge. Für Reagan war die KSZE-Schlussakte denn auch etwas völlig Unamerikanisches: "Ich bin dagegen, und ich denke, dass alle Amerikaner dagegen sein sollten." [8]

Zu Korb III, an dem der Westen besonders interessiert war (u.a. freier Austausch von Menschen, Informationen und Meinungen), hatte der sowjetische Vertreter festgestellt: "Die Sowjetunion wird die Schlüssel des Hauses nie aus der Hand geben, nie eine Gefährdung des Regimes zulassen." [9] Die Sowjetunion dachte in der Folge denn auch wenig an Zusammenarbeit, betrieb im Gegenteil eine massive Aufrüstung - Stichwort SS-20: Mittelstrecken-Atomraketen mit Dreifachsprengköpfen, unzählige Panzer (als Reaktion darauf kam 1979 der NATO-Doppelbeschluss), eine expansive Außenpolitik in Afrika und die Invasion Afghanistans im Dezember 1979. Insofern hält Kieningers These nicht: Die Détente-Politik der "Brückenbauer" erwies sich als eine Illusion! Es war Reagans Politik, die das Ende des Kalten Krieges brachte! Die Arbeit der "Brückenbauer" war dennoch nicht völlig umsonst: Die KSZE-Schlussakte blieb ein wichtiges Dokument, auf das sich die Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa berufen konnten. Damit blieb sie ein Katalysator für die Hoffnung der Menschen auf mehr Freiheit und Rechte dort. Erst mit Gorbatschow wurde das allerdings erreicht.

Fazit: Ein interessantes Buch mit einer interessanten These, die zu weiteren Diskussionen geradezu einlädt.


Anmerkungen:

[1] Aufzeichnung des Ministerialdirektors Pfeffer und des Botschafters Wieck, z. Zt. Bonn, 11. 6. 1982, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland [AAPD] 1982, Dok. 179.

[2] Vgl. John Colville: The Fringes of Power: 10 Downing Street Diaries, 1939- 1955, New York 1985, 639.

[3] Thomas Alan Schwartz: Lyndon Johnson and Europe. In the Shadow of Vietnam, Cambridge/Mass. 2003.

[4] "Extract from Record of a Conversation between the Foreign Secretary and the French Minister of Foreign Affairs at the Quai d'Orsay at 6.15 p.m. on Monday, April 8, 1963" und "Personal, Minute" Macmillan für Außenminister Home, 14.4.1963. The National Archives, London, PREM 11/4221.

[5] Der Spiegel vom 27.2.1967, zit. in: AAPD 1967, Dok. 64, Anm. 5.

[6] Notes of Cabinet Meeting, 22. 8.1968; in: Foreign Relations of the United States 1964-1968, XVII, Dok. 84.

[7] Zit. bei Paul Frank: Entschlüsselte Botschaft. Ein Diplomat macht Inventur, Stuttgart 1981, 287. Hervorhebung im Original.

[8] Zit. bei Gerald R. Ford: A Time to Heal. The Autobiograpy of Gerald R. Ford, London 1979, 300.

[9] Vgl. Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Kausch, 4.11.1976, in: AAPD 1976, Dok. 320.

Rolf Steininger