Claudia Garnier / Christine Vogel (Hgg.): Interkulturelle Ritualpraxis in der Vormoderne. Diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 52), Berlin: Duncker & Humblot 2016, 180 S., ISBN 978-3-428-14784-7, EUR 49,90
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Das von Christine Vogel und Claudia Garnier herausgegebene Sonderheft der Zeitschrift für Historische Forschung geht auf eine Tagung zurück, die 2012 in Vechta stattfand. Die Veröffentlichung im Rahmen einer Zeitschrift bot den Vorteil, einen kurzen und konzisen Band zusammenzustellen, der aus einer Einleitung und sechs Artikeln besteht (insgesamt 180 Seiten). Inhaltlich lässt sich die Publikation in die aktuellen Entwicklungen der neuen Diplomatiegeschichte als Geschichte der Außenbeziehungen mit ihrem besonderen Augenmerk auf die Akteursperspektive und auf die Bedeutung symbolischer Kommunikation einordnen. Die Autoren haben es sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Erforschung der "interkulturellen Dimension vormoderner Diplomatie" (11) zu leisten. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen hier die Außenbeziehungen mittel- und westeuropäischer Mächte zu ihren östlichen Nachbarn, also vor allem zu Russland und dem Osmanischen Reich und die Bedeutung, die hierbei der symbolischen Kommunikation zukam. Zeitlich beschäftigen sich die meisten Beiträge grob gesagt mit dem 17. Jahrhundert. Die einzige Ausnahme stellt der erste Artikel dar, der das Hochmittelalter in den Blick nimmt.
Wie die beiden Herausgeberinnen in der den aktuellen Forschungsstand präzise referierenden Einleitung deutlich machen, führte der Einsatz von Ritualen in der interkulturellen Praxis zu ambivalenten Ergebnissen. So kann zwar auf der einen Seite "die Sprache der Rituale im Kulturkontakt der Vormoderne [...] als lingua franca" (11) angesehen werden, jedoch führte die symbolische Kommunikation ebenfalls häufig zu Konflikten und Missverständnissen. Besonders an den Beispielen der Außenbeziehungen zum Osmanischen Reich und zu Russland lasse sich dabei das "Potenzial und die Grenzen symbolischer Kommunikation in interkulturellen diplomatischen Kontakten der Vormoderne" (12) gut ausloten, da sich hier die "Praktiken der kulturellen Abgrenzung bzw. Integration anhand von Ritualen besonders gut beobachten und problematisieren" (12) lassen. Wie die Einführung und die Beiträge des Bandes deutlich machen, waren die östlichen Grenzen der europäischen Fürstengesellschaft fließend und mussten erst durch Abgrenzungsdiskurse hergestellt werden.
Im ersten Artikel der Publikation beschäftigt sich Gerd Althoff mit der Frage, ob slawische und deutsche Herrschaftsverbände während des Hochmittelalters durch ihre intensiven Austauschbeziehungen eine gemeinsame Ritualsprache herausgebildet haben (20). Eine Schwierigkeit ergibt sich hierbei aus der spärlichen Quellenlage. Deshalb hat sich Althoff vor allem mit Beispielen böhmischer und polnischer Herrscher nach der Christianisierung beschäftigt. Bei ihnen lässt sich feststellen, dass sie die im Reich übliche symbolische Kommunikation perfekt beherrschten - so gut, dass es sich vielleicht fragen ließe, inwiefern es sich dabei noch um interkulturelle Kommunikation handelt.
Der Beitrag von Claudia Garnier untersucht die Ritualpraxis am Moskauer Hof anhand von Quellen westlicher Gesandter des 16. und 17. Jahrhunderts. Garnier analysiert unter anderem die Bedeutung von Treppen für die symbolische Affirmation des Bedeutungsanspruchs der Moskauer Herrscher. Jan Hennings stellt in seinem Artikel einen Vergleich zwischen englischen und russischen Aufzeichnungen zum diplomatischen Zeremoniell an. Hierbei oblag in Russland die Sammlung und Verwaltung des Zeremonialwissens einer Behörde, des Posol'skii prikaz, wogegen dies in England die Aufgabe einer Dynastie von Zeremonienmeistern war (83). Hennings argumentiert überzeugend gegen eine Exotisierung der russischen diplomatischen Kultur. Stattdessen haben sich diplomatische Konflikte "oftmals gerade aus dem übereinstimmenden Verständnis von symbolischer Konkurrenz zwischen Monarchen" (84) ergeben.
Florian Kühnels Beitrag beschäftigt sich mit den Berichten europäischer Gesandter über das Zeremoniell, welches ihnen im Osmanischen Reich gewährt wurde. So war es für Botschafter üblich, stets darauf hinzuweisen, dass ihnen selbst mehr Ehren zuteilwurden, als dies bisher oder bei anderen Gesandten der Fall gewesen war (96). Dies war auch deshalb wichtig, weil Präzedenzfragen in Istanbul mit Blick auf Europa ausgetragen wurden (101-102). Kühnel stellt in seinem Artikel außerdem die interessante These auf, dass die Audienzen an der Hohen Pforte möglicherweise gar nicht als Unterwerfungsrituale interpretiert werden können, weil die Osmanen die fremden Botschafter nicht als die Abbilder der sie entsendenden Herrscher angesehen hätten (109-110). Diese These zeigt die Grenzen dessen auf, was man mit Hilfe allein der europäischen Quellen über das Osmanische Reich erfahren kann. Auch wenn die Osmanen die europäischen Botschafter nicht als Stellvertreter der sie entsendenden Herrscher ansahen, so stellt sich dennoch die Frage, warum dann bei Audienzen so viel Aufwand betrieben wurde, wenn die symbolische Unterwerfung des Gesandten keine Rückwirkung auf das Verhältnis des Sultans zu den entsendenden Monarchen hatte.
Christine Vogel analysiert in ihrem Artikel ein besonders interessantes Beispiel diplomatischer Repräsentation in Istanbul, nämlich ein vom französischen Botschafter Charles de Nointel zu Ehren des Sonnenkönigs gegebenes Fest. Vogel zeigt mit Rückgriff auf die kulturgeschichtliche Hofforschung überzeugend auf, dass die politischen Adressaten dieses Festes nicht am Bosporus, sondern in Versailles zu verorten sind.
Der abschließende Artikel von Gábor Kármán beschäftigt sich mit dem Zeremoniell der diplomatischen Kontakte zwischen siebenbürgischen Fürsten und den osmanischen Gouverneuren (beylerbeys) von Ofen, vor allem im 17. Jahrhundert. Hierbei stellt sich unter anderem die Frage, wie der Handkuss durch siebenbürgische Gesandte zu interpretieren ist, den diese dem Pascha von Ofen leisteten, denn nach europäischem Verständnis würde der Fürst von Siebenbürgen rangmäßig über dem Pascha von Ofen stehen.
Insgesamt zeigt dieser gelungene Band die Potenziale und Grenzen der Nutzung von Quellen vorrangig west- und mitteleuropäischer Provenienz auf, insbesondere wenn man sie im Bewusstsein ihrer eurozentrischen Perspektive kritisch analysiert. Darüber hinaus ist die Publikation ein Beispiel dafür, wie man die theoretischen und methodischen Ansätze der Ritualforschung auch über die Grenzen der europäischen Fürstengesellschaft hinaus fruchtbar machen kann. Sie öffnet damit den Blick auf ein spannendes Forschungsfeld, auf dem noch viel zu tun bleibt.
Pascal Firges