Dieter Kastner (Bearb.): Die Urkunden von Kloster Gaesdonck. Regesten 1351-1550 (= Inventare nichtstaatlicher Archive; 56), Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2016, 251 S., ISBN 978-3-7749-4037-6, EUR 23,50
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Am 18. Juni 1365 kam der Kölner Erzbischof Engelbert II. dem frommen Wunsch der beiden Kleriker Johannes de Ecke und Johannes van den Sande nach, ein Bethaus für vier Personen in der Stadt Goch zu gründen. Der Metropolit erklärte dabei die besagte domus von allen weltlichen Pflichten frei und verlieh den Klerikern das Recht, im dortigen Oratorium die heilige Messe halblaut und auf einem Tragaltar zu feiern. Bei dieser erzbischöflichen Bestätigung handelt es sich um eine der ältesten urkundlichen Belege für die Existenz des in der Gewerbestadt Goch im Herzogtum Geldern von vier frommen Männern initiierten Fraterhauses, aus dem nur wenige Jahrzehnte später das Kloster und Kanonikerstift Gaesdonck werden sollte. Obwohl die überlieferten Zeugnisse die Intentionen der vier Initiatoren nur zum Teil durchblicken lassen, lässt sich auch diese Gründung in den Kontext der in den niederländischen und niederrheinisch-westfälischen Gebieten um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits florierenden Bewegung der Devotio Moderna einbetten. Auch im Fall der Gocher Gemeinde mögen zunächst die Nachfolge Christi, die individuelle Vervollkommnung und das gemeinschaftliche, unauffällige und bescheidene Leben nach dem Modell der Apostel stark im Vordergrund gestanden haben, so dass die domus bis ca. 1400 auffallend klein und "unprivilegiert" blieb. Doch zu Beginn des 15. Jahrhunderts kam es zu zwei grundlegenden Änderungen, die eine zweite Phase in der Geschichte der frommen fraternitas einleiteten: 1400 wurde das ursprüngliche Fraterhaus in ein Kanonikerstift der Windesheimer Kongregation umgewandelt. Die domus wurde somit der Augustinusregel und der Leitung eines Priors unterstellt. Nur fünf Jahre später kam es mit landesherrlicher Genehmigung zur Verlegung der Gemeinde von Goch auf den Hof Gaesdonck und zur Gründung und Errichtung eines Chorherrenklosters, das gerade im 15. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte.
Bei dem vorliegenden, 2016 in Bonn für die Reihe Inventare nichtstaatlicher Archive des Archivberatungs- und Fortbildungszentrums des Landschaftsverbandes Rheinlands erschienenen Werk handelt es sich um ein von Dieter Kastner vorgelegtes Inventar der aus dem Zeitraum zwischen 1351 und 1550 überlieferten Urkunden zum ursprünglichen Fraterhauses in Goch sowie zu dem späteren Kloster Gaesdonck. Bereits 2014 hatten Rien van den Brand und Laurenz van der Linde eine vollständige Transkription aller Gaesdoncker Urkunden aus der fraglichen Zeitspanne in kleinerer Auflage veröffentlicht, allerdings ohne jegliche Regestierung und historische Einordnung. Ziel des vorliegenden Bandes ist es deshalb, diese "Lücke" zu schließen, und sowohl den Archivbenutzern als auch dem breiteren Publikum ein in hochdeutscher Sprache verfasstes und mit einem umfangreichen Personen-, Orts- und Sachregister versehenes Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, auf deren Grundlage unterschiedliche Fragestellungen bearbeitet werden können. Diesem Vorhaben entsprechend ist das Werk tatsächlich als Hilfsmittel für Archivforschungen aufgebaut: Auf eine kurze Einführung (7-20) folgt der Hauptteil mit den Regesten (25-194), die von den Indices (197-251) abgeschlossen werden. Erschlossen wurden allerdings im Inventar nur die in Gaesdonck original oder abschriftlich überlieferten Urkunden, während auf die 110 Dokumente, die im 19. Jahrhundert in das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (heute Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland in Duisburg) gelangten, nicht näher eingegangen wurde.
Die im Inventar verzeichneten Urkunden geben in erster Linie Einblick in die Herausbildung einer Art Fördernetzwerk um das Stift Gaesdonck, zu dem sowohl städtische Kaufleute, als auch Adlige und sogar Fürsten wie die Herzöge von Geldern gehörten. Die Beschäftigung mit den sozialen Gruppen und Persönlichkeiten, die dem Kloster ihre Unterstützung in Form von Renten, Spenden und Stiftungen garantierten, kann beispielsweise Auskunft über die regionalen Beziehungen des Klosters sowie über die Wirkung und Attraktivität der sogenannten Devotio Moderna bei unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen geben. Außerordentlich umfangreich sind auch die Informationen über die Wirtschaftstätigkeit des Stiftes, zumal es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Urkunden um Güterübertragungen handelt. Aber auch auf rechtsgeschichtlicher Ebene lässt sich die Gaesdoncker Dokumentation ertragreich verwerten, denn fast alle Übertragungen fanden vor dem zuständigen Richter und den Gemeindeschöffen statt, während weitere Rechtshandlungen vor Notaren vertraglich abgeschlossen wurden.
Nicht so ausführlich dokumentiert wie die finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten sind die religiösen und liturgischen Praktiken des Klosters. Aufschlussreiche Einblicke bieten die von höheren Geistlichen, vor allem aber von Kölner Erzbischöfen und deren Offizialen ausgestellten Urkunden: Von besonderem Interesse sind zum Beispiel die anlässlich der verschiedenen Weihen und Konsekrationen der Klosterkirche erstellten Dokumente, in denen die Ideale der Devotio Moderna mit den äußeren Praktiken der hierarchischen Kirche in Verbindung treten. So gewährte zum Beispiel 1437 der Kölner Weihbischof Johannes von Venicopol einen 40-tägigen Ablass, um den Kirchenbesuch an den wichtigsten Feiertagen und Heiligenfesten des Kirchenjahres zu fördern - doch der Prior soll sich zu diesem Anlass demütig zu Boden geworfen und den Bischof angefleht haben, auch die in der Gemeinschaft lebenden Laienbrüder und die sich bei der Arbeit befindenden Diener an dieser Gnade Anteil haben zu lassen. Vereinzelte Urkunden informieren zudem über die institutionelle Tätigkeit des Klosters: So beauftragte 1451 der päpstliche Legat Nikolaus von Kues den Gaesdoncker Prior mit der Reform und Aufsicht einer Gemeinschaft von weiblichen Religiosen, die sich bis dato zu keiner Regel bekannt hatten.
Als ausgesprochen hilfreich erweist sich das vorliegende Inventar in Hinblick auf toponomastische, familien- und sprachgeschichtliche Fragestellungen. Die Wiedergabe von Rechtsformeln, Fachbezeichnungen und Namen im originalen Wortlaut soll Forscherinnen und Forscher dazu in besonderer Weise ermuntern. Auch die sorgfältig erstellten Personen-, Orts- und Sachregister stellen einen bequemen Ausgangspunkt für derartige Untersuchungen dar, die im Idealfall auch die im vorliegenden Inventar nicht miteinbezogenen und in Gaesdonck sowie im Duisburger Landesarchiv verwahrten Akten- und Amtsbücher mitberücksichtigen sollten.
Beim vorliegenden Regestenband hat man es mit einer sauberen Grundlagenarbeit zu tun, auf die Landes- und Rechtshistoriker, Historiker der Devotio Moderna sowie Sprachwissenschaftler mit Dankbarkeit zurückgreifen werden. Zu bemängeln ist nur die fehlende Erwähnung von eventuellen Abweichungen zwischen den im Original in Duisburg überlieferten Urkunden und den jeweiligen Abschriften aus den Gaesdoncker Kopiaren. Doch ist dies wahrscheinlich weniger auf den Bearbeiter, sondern vielmehr auf das Konzept der Reihe zu den nichtstaatlichen Archiven zurückzuführen.
Étienne Doublier