Manuela Bauche: Medizin und Herrschaft. Malariabekämpfung in Kamerun, Ostafrika und Ostfriesland (1890-1919) (= Reihe "Globalgeschichte"; Bd. 26), Frankfurt/M.: Campus 2017, 390 S., ISBN 978-3-593-50696-8, EUR 45,00
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Dass gesundheitspolitische Maßnahmen in Kolonialgebieten in einem direkten Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik im Heimatland der Kolonisatoren dargestellt werden, ist innerhalb der Geschichtsschreibung nach wie vor eine Ausnahme. Umso mehr verdient die bei Adam Jones in Leipzig entstandene Dissertation von Manuela Bauche Beachtung. Die Autorin widmet sich der Malariabekämpfung des Deutschen Reiches um 1900 und konzentriert sich auf die Ausbreitungsgebiete Kamerun, Ostafrika und Ostfriesland. Als ihre Absicht bezeichnet sie es, keine weitere Studie über Malaria oder Afrika zu verfassen, sondern sich dem "Auf- und Ausbau staatlicher Herrschaft im Deutschen Kaiserreich" (7) zu widmen.
Es ist vielfach in Vergessenheit geraten, dass Malaria bis in die 1950er Jahre hinein auch in Mitteleuropa und namentlich in Ostfriesland eine nennenswerte Rolle spielte. Dort hielten Apotheken schon im 17. Jahrhundert Chinin zur Malariabehandlung bereit. Mitte des 19. Jahrhunderts zählte Malaria in Nordwestdeutschland zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt, trat aber meistens in einer milden Verlaufsform auf. Als unter Friedrich Wilhelm IV. seit den 1850er Jahren mit Wilhelmshaven ein preußischer Kriegshafen mit Nordseezugang errichtet wurde, fiel den Berliner Behörden die hohe Zahl von Erkrankten unter den Arbeitern auf, fast 20.000 in den ersten zehn Jahren des Baus von Hafen, Docks und Festung. Bald wurden von Mücken bevorzugte Lebensräume wie Gräben und Düngergruben beseitigt. Als 1901 der Ausbau Wilhelmshavens intensiviert wurde, sagte der ostafrikaerfahrene Robert Koch als Leiter des Berliner Instituts für Infektionskrankheiten zu, in Ostfriesland systematisch die Malaria zu bekämpfen.
Die Malaria als Gefahr für die Militärstandorte an der Nordseeküste war erkannt. Dabei griff man auf die Expertise von Kolonialärzten zurück. Unter anderem wurde - mit mäßigem Erfolg - eine tropische Schwimmpflanze eingesetzt, um Mücken an der Eiablage im Wasser zu hindern. Schon anhand eines solchen kleinen Beispiels gelingt es Bauche, die auf den ersten Blick überraschende territoriale Schwerpunktsetzung sinnvoll erscheinen zu lassen. Im Vergleich der von Berlin ausgeübten Herrschaftspraktiken in Ostfriesland und in den Kolonialgebieten aber liegt das Hauptinteresse Bauches.
Die Berliner Zentrale bestimmte, wie gegen die vermeintliche "Tropenkrankheit" vorzugehen war. Hier sammelte man Berichte von den seitens der Autorin besonders beachteten Reisen durch die Malariagebiete. Die Malariabekämpfungsprogramme führten in Kameruns damaliger Hauptstadt Douala trotz des Widerstands der Bevölkerung zu nicht mehr verwirklichten Segregationsplänen. Zwischen den Wohnstätten der Europäer und der Afrikaner sollte ein Kilometer Abstand liegen, den nach Auffassung des zeitweiligen Leiters der Kameruner Medizinalverwaltung, Hans Ziemann, die Anopheles-Mücke nicht werde überwinden können. Rassistische Vorstellungen von mangelhafter Hygiene in der indigenen Bevölkerung korrelierten hier mit der Überzeugung, durch Steinbauten und Trinkwasserleitungen eine gleichsam europäische, "gesunde" Tropenstadt zu schaffen (281). Die lokalen Eliten hatten sich den Plänen zu fügen, obwohl es zuvor zu "Bekanntschaften, Arbeits- und Freundschaftsbeziehungen zwischen Europäern und Afrikanern" (300) gekommen war. Das sich in Beschwerden gegen Enteignungen manifestierende Selbstbewusstsein im Volk der Duala wurde durch die Hinrichtung zweier Anführer des Protests brutal gebrochen. Die von der Autorin für Kamerun zuvor konstatierte Tradition des "Verhandelns" gelangte an ihr Ende.
In Ostafrika war seit jeher eine Praxis des "Verordnens" verfolgt worden (194), in Ostfriesland hingegen eine des "Integrierens und Verdrängens" (211). Konkret bedeutete dies, dass sich die Berliner Behörden - wie in Emden - darum bemühten, die lokalen Autoritäten und Ärzte in die vor Ort vielfach als unwichtig erachtete Malariabekämpfung einzubinden oder aber - wie in Wilhelmshaven - die niedergelassenen Hausärzte von ihr auszuschließen.
Über die Vergleiche Bauches wird man bisweilen stirnrunzelnd nachdenken, etwa wenn sie die neu errichteten Arbeiterquartiere außerhalb der Innenstadt von Emden mit der Segregation in Douala in Verbindung bringt. Doch gerade diese unkonventionellen Denkschneisen machen die Lektüre der Dissertation anregend. In vielen Fällen sind die Analogien plausibel. Die Anophelesmücke war in Afrika wie in Ostfriesland heimisch. Für die Krankheit wurden in beiden Territorien die aus Sicht der Deutschen "Fremden" verantwortlich gemacht, in Afrika die Einheimischen, in Ostfriesland die aus den Niederlanden und Italien angeworbenen Arbeiter. Die den Konzepten zur Malariabekämpfung des frühen 19. Jahrhunderts durchaus eigenen philanthropischen Motive standen im Schatten einer deutlich erkennbaren Skepsis gegenüber den Nichtdeutschen. Zu den von Bauche vorgestellten Protagonisten zählen Claus Schilling, der später im KZ Dachau verbrecherische Humanexperimente vornahm, und der 1923 erstmals in die NSDAP eingetretene Rassenhygieniker Philalethes Kuhn. In dieses Bild grundsätzlich wenig überraschender Kontinuitäten fügt die Autorin Parallelen ein. Denn die von der Malaria vornehmlich Betroffenen waren in Ostfriesland wie in Afrika die Unterprivilegierten, hier die Arbeiter und dort die weitgehend rechtlose einheimische Bevölkerung.
Bauche verfolgt mit ihrer Arbeit ausdrücklich die Absicht, konventionelles Denken zu durchbrechen. Sie will nicht Dichotomien verstärken, sondern - in der Geschichtsschreibung wie in der Politik - die Trennung zwischen Süd und Nord aufbrechen. Dazu eignet sich ihre Art der Herrschaftsanalyse ebenso wie ihr abschließender Blick auf die von Globalisierung und Klimaerwärmung geprägte Gegenwart, die rassistischer Menschenverachtung und Malaria auch in Nordeuropa wieder Raum geben könnte.
Das als Paperback erschienene Buch basiert auf dem Studium einschlägiger Archivalien in Berlin, Yaoundé, Dar es Salaam, Aurich und Emden sowie der Auswertung von Kolonialdenkschriften, Medizinalberichten und der Forschungsliteratur. Einzelne gut ausgewählte Fotos reichern das Werk an, weniger die in unzureichender Qualität gedruckten Landkarten. Sehr zu bedauern ist der Verzicht auf ein Personenregister.
Ralf Forsbach