Monique Dondin-Payre / Nicolas Tran: Esclaves et maîtres dans le monde romain. Expressions épigraphiues de leurs relations (= Collection de l'École française de Rome; 527), Rom: École française de Rome 2017, 410 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-2-7283-1240-5, EUR 36,00
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Die Bedeutung der Epigraphik für die Erforschung der antiken Sklaverei steht heutzutage außer Frage. Schon Henri Wallon stützte seine 1847 in Paris erschienene Histoire de l'esclavage dans l'antiquité auf inschriftliche Zeugnisse, v.a. bezüglich der Sklavenarbeit (Bd. 3, 96-108). Es ist daher nicht überraschend, dass die 20. Rencontre franco-italienne sur l'épigraphie du monde romain, die 2014 organisiert von Monique Dondin-Payre und Nicolas Tran in Poitiers stattfand, sich mit der Sklaverei beschäftigen sollte. Das Treffen war speziell auf das Verhältnis zwischen denen, die als Sklaven gehalten wurden, und denen, die andere als Sklaven hielten, ausgerichtet. Im Fokus stand insbesondere auch die Frage, wie sich diese Beziehung epigraphisch ausdrückte. Chausson beschäftigt sich daher in seiner Einführung mit der Rolle der Epigraphik in diesem Forschungsbereich - 'La place de l'épigraphie dans l'étude des relations entre esclaves et maîtres' (3-10): Der Beitrag bietet ein Résumé einiger der bekannten Kontexte, in denen die versklavten Menschen und (hauptsächlich deren eigene) Sklavenhalter und -halterinnen in Kontakt traten (ob in großen oder kleinen Haushalten, im Bereich der Körperpflege, der Verwaltung, o.ä.). Die folgenden 18 Kapitel sind dann in drei Themenbereiche unterteilt: 'Le monde servile et le droit' (13-79); 'Le monde servile face aux hommes, aux dieux, à la mort' (83-159); und 'Études régionales' (163-318). Obgleich diese Einteilung einen eher diffusen Zugang zum Thema in den einzelnen Kapiteln andeutet, bieten diese trotzdem Interessantes.
Zu Beginn diskutieren Mulliez ( 13-30), Incelli (31-43), Luciani (45-64) und Laubry (65-79) sowohl diverse Aspekte und Kontexte der Sklavenfreilassung als auch die Rolle der Freigelassenen, teilweise im Spiegel des römischen Rechts. Ein zentraler Punkt sind hier die Auflagen, die die Freigelassenen leisten müssen, die Luciani innerhalb der öffentlichen Sklaverei (und zusammen mit dem Euergetismus, den die servi und liberti publici gegenüber 'ihrer' Stadt zeigen) vorsichtig als operae identifiziert ('si può forse riconoscere in questo fenomeno l'esito dell'espletamento delle operae richieeste dalle città', 55), und die Mulliez als Indiz für Konfliktpotenzial ansieht ('des relations conflictuelles ou [...] des arrière-pensées', 19). Analog betont Laubry in seiner Analyse der Grabformulare libertis libertabusque posterisque eorum die Rolle der (freien) Verstorbenen und die Ausrichtung des Grabformulars auf die zukünftige Erhaltung ihres Namens: Die Ambivalenz der Relation von Patron und Freigelassenen wird erklärt als 'résultant du lien original de servitude puis de l'acte de manumission' (78). Wenngleich die Beiträge auch vertrauliche Verhältnisse thematisieren, was Incelli als Beispiele einer 'manifestation claire d'humanitas' bezeichnet (38), argumentieren letztendlich alle vier, dass (so Laubry) 'les liens d'obligations entre le patron et ses affranchis constituaient l'une des guaranties du système' (76).
Ebenso auf die Herrschaftsgewalt ausgerichtet sind die prosopographische Studie der familia der Valerii Messallae von Landrea (97-110) und Chioffis Skizze der Herrschaftskategorien der Sklaven in Capua - v.a. Götter, Stadt, Verbünde, Kaiser (269-277). Demgegenüber entwickelt Caldelli in ihrer Studie über Ostia eine positive Ansicht des Verhältnisses zwischen Sklaven und Sklavenhaltern, Freigelassenen und Patronen (253-267), während im Mittelpunkt des Kapitels von Cenerini der Grabstein eines (wahrscheinlich) versklavten Jungen und sechs weiterer (möglicherweise versklavter) Kinder aus Regio VIII steht (227-241), 'del tutto simili ai loro coetanei libiri' (241). Antolini und Marengo sehen andererseits in den Devotionstexten zum genius sowohl 'una forma di autorappresentazione' als auch 'l'integrazione dello schiavo nella domus' (129-140; auf 140). Konflikte unter Sklaven ist das Thema von Alvar Nuño, der Fluchtafeln als rationale Praxis von Sklaven erklärt, v.a. untereinander (113-127).
Einen nützlichen Abriss von Versinschriften (gekoppelt mit einer neuen, überzeugenden Lesung eines Epitaphs aus Caesarea Mauretaniae für einen versklavten Mann, der wahrscheinlich zur königlichen Entourage von Juba II. gehörte) liefert Hamdoune (83-96). Ähnlich nützliche Übersichten präsentieren Buonopane und Cresci Marrone bezüglich der epigraphischen Zeugnisse für Patroninnen in den Regiones X und XI (163-184) und Zaccaria hinsichtlich der Quellen für Sklaven in Aquileia (185-213). Weniger thematisch orientiert ist die Vorstellung zweier faszinierender Versinschriften für drei Sklaven auf einer bei Rom wiederentdeckten Marmorurne von Gregori und Bianchini (141-159). Ähnliches gilt ebenso auch für die neue Lesung einer Inschrift aus Eporedia von Mennella (215-225) wie für die Vorstellung neuer Texte aus Taranto von Silvestrini (279-296) und einer Grabinschrift aus Rom von Gregori (243-252). Den Abschluss bildet Cocco mit einer (historischen) Skizze der Sklavenarbeit auf Sardinien (297-318).
Einige Parallelen (und Defizite): Das 'Römische' ist auf das Lateinische konzentriert; von den (städtischen) Inschriften wird leicht über die Gesellschaft allgemein spekuliert; die Beiträge sind isoliert voneinander (obgleich es etliche Kontakt- und Kontrastpunkte gibt) und überwiegend deskriptiv; methodisch wurde die Frage der Basis der Interpretation für oder gegen die Handlungsmacht der Sklaven bzw. der Hoheitsgewalt der Herren (oder des Systems) nicht angegangen; und die Auseinandersetzung mit der Sklavereiforschung (und deren theoretischen Dimensionen) ist marginal. Aber obgleich die thematische Beschäftigung eher oberflächlich ist, wenn man vom Fokus auf die Epigraphik einmal absieht, ist es interessant zu beobachten, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts möglich ist, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts noch negative Kritiken heranzog, v.a. bezüglich Joseph Vogt. Die ideologischen Kämpfe in der Erforschung der antiken Sklaverei, die Moses Finley im ersten seiner Vorträge am Collège de France 1978 darstellte und dadurch weiter befeuerte (Ancient Slavery and Modern Ideology, London, 1980), scheinen aber immer noch Wellen zu schlagen. Mulliez zitiert z.B. in Bezug auf die delphischen Freilassungsakten zusammenfassend (auf Französisch, 30) Finleys Insistenz auf eine radikale Trennung zwischen dem 'more or less humane treatment of individual slaves by individual masters and the inhumanity of slavery as an institution'. Das Zitat - ohne Quellenangabe - kritisiert die Arbeit Vogts im oben zitierten Werk (122; 164 in der französischen Übersetzung von 1981). Auch ohne Fußnote ist die erneute Kritik deutlich. Ähnlich ausgerichtet erscheint auch die Vorsicht einiger Autoren, nicht auf die Seite derer zu geraten, von denen behauptet wird, die Sklaverei zu beschönigen. Vogt - sowohl Motor der antiken Sklavereiforschung (durch das von ihm 1950 begründeten Projekts 'Forschungen zur Antiken Sklaverei' an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz) als auch zuvor Mitglied der NSDAP und Unterstützer des Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften - erscheint nicht in der Bibliographie dieses Sammelbandes, trotz seiner Arbeit zu den zwischenmenschlichen Kontakten in der Sklaverei - also dem Themenbereich dieser Rencontre franco-italienne. Der Sklavereiforschung ist aber besser mit ernsthafter wissenschaftlicher Auseinandersetzung gedient als mit implizierter Polemik und unqualifizierter Abwendung.
Ulrike Roth