Ruth Slenczka (Hg.): Reformation und Freiheit. Luther und die Folgen für Preußen und Brandenburg, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017, 304 S., 174 Farb-, 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0426-7, EUR 29,95
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Thomas Kaufmann: Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte, München: C.H.Beck 2022
Joachim Bahlcke / Beate Störtkuhl / Matthias Weber (Hgg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa. Geschichte - Kultur - Erinnerung, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
Wohl mehr als 100 Ausstellungen zum Thema Luther und / oder Reformation hat es im Rahmen der "Lutherdekade" bis 2017 in Deutschland gegeben [1], darunter drei große "Nationale Sonderausstellungen" in Berlin, Wittenberg und auf der Wartburg, und zahlreiche Ausstellungen, die sich einem lokal oder inhaltlich begrenzten Einzelthema gewidmet haben. Soweit sich das pauschal sagen lässt, gehörten die historischen Ausstellungen zu den besonders gut besuchten Veranstaltungen des Jubiläumszeitraums, ob sie nun einem besonderen Konzept folgten oder auf die Attraktion des Ausstellungsorts vertrauten. Anzuzeigen ist hier nun der umfang- und materialreiche, konzeptionell starke, in manchem vielleicht überreiche Katalog einer Ausstellung in Potsdam. Sie war vom 8.9.2017-21.1.2018 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen [2] und nahm die Reformation und ihre Folgen für Brandenburg und Preußen in den Blick. Als hermeneutischer Schlüssel diente Ausstellung wie Katalog dabei das Thema "Freiheit". Ausgehend von Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen von 1520, die im ersten Teil des Katalogs in den Mittelpunkt gestellt wird, erschließen die Beiträge der folgenden Teile die Auswirkungen der Reformation und des veränderten Freiheitsverständnisses für die historischen Territorien von Brandenburg und Preußen. Der konzeptionelle Ansatz wird in der Einleitung der Herausgeberin und Kuratorin Ruth Slenczka plausibel gemacht und über das ganze Werk hinweg in beeindruckender Konsequenz durchgeführt.
Der erste Teil des Katalogs enthält drei einleitende Aufsätze zur Freiheitsschrift: zwei allgemeine, unter theologisch-systematischer Fragestellung von Notger Slenczka und in kirchenhistorischer Perspektive von Thomas Kaufmann. Ein weiterer Beitrag von James Hirstein widmet sich einem interessanten Sonderfall der Druck- und Überlieferungsgeschichte, nämlich einem in Schlettstadt erhaltenen Exemplar mit handschriftlichen Zusätzen Luthers. Schon diese Texte werden begleitet und illustriert durch die ersten Katalogartikel. Der durchaus eigenständige Teil von Benjamin Wolf zur Druckgeschichte, der eine Übersicht der Ausgaben einleitet, wird im Inhaltsverzeichnis leider nicht gesondert ausgewiesen.
Der zweite, weitaus umfangreichere Teil behandelt nun das Thema "Reformation und Freiheit" in Preußen und Brandenburg abwechselnd, aber in enger Verschränkung; ein Vorgehen, das angesichts der Verbindung der beiden Territorien ab der Mitte des 16. Jahrhunderts durchaus angemessen ist. Zur Orientierung, welches Gebiet gerade behandelt wird, sind die Überschriften und Kolumnentitel blau und rot codiert. Eröffnet von einem allgemeinen Überblickstext "Herzogtum Preußen und Mark Brandenburg 1517-1618" von Andreas Stegmann steht den fünf thematischen Abschnitten je ein Einleitungstext der Ausstellungsmacherin Ruth Slenczka von einer Seite Umfang voran, der das jeweilige Gegenstandsgebiet, immer im Blick auf das Oberthema Freiheit, präzise umreißt. Die Abschnitte fassen Themenfelder zusammen: "Frei vom Papst - Kirche in Laienhand", "Souveränität - politische Autonomie", "Aufstand - Widerstand - Rebellion" und "Recht auf die eigene Religion". Sie enthalten jeweils zweimal drei Einzelessays, die jeweils von einem umfangreicher kommentierten "Leitobjekt" begleitet und von weiteren Objekten ergänzt werden.
Man muss es als große Stärke des Ausstellungskatalogs hervorheben, dass der konzeptuelle Zugriff über den Begriff der Freiheit erfolgreich durchgehalten wurde und auf beide historischen Territorien angewandt werden konnte. Nicht immer allerdings kann die Zuordnung der Untersuchungen zu den einzelnen Abschnitten völlig überzeugen, etwa bei den - in sich überzeugenden - Beiträgen von Philip Hahn zur Wilsnacker Glocke (im Abschnitt "Kirche in Laienhand") oder von Martin Stupperich zum Osiandrischen Streit (im Abschnitt "Aufstand - Widerstand - Rebellion"). Das Bemühen um eine gleichgewichtige Gliederung gerät hier an seine Grenzen.
Von der beeindruckenden Reihe von Exponaten und prominenten Leihgebern, die der Ausstellung zugutegekommen sind, profitiert natürlich auch der Katalog - auch wenn er naturgemäß die Originale nicht in der gleichen Opulenz präsentieren kann [3], so bietet er doch eine hervorragende Abbildungsqualität. Der große Mehrwert der Druckausgabe liegt in den zahlreichen Beiträgen von ausgewiesenen Experten. Dabei ist es der Kuratorin gelungen, eine ausgewogene Mischung von älteren und jüngeren Forschern beiderlei Geschlechts, auch aus Polen und Litauen, zu gewinnen. Leider, das soll nicht verschwiegen werden, erreicht der zentrale Überblickstext zu Herzogtum Preußen und Mark Brandenburg 1517-1618 nicht das Niveau der übrigen Einzelbeiträge: kompliziert strukturiert und besonders in der Darstellung der Geschichte des Deutschen Ordens problematisch, ist dieser Beitrag unter dem sonst sorgfältig berücksichtigten deutsch-polnischen Gesichtspunkt besonders zu bedauern. Die beiden sich anschließenden Einleitungstexte von Klaus Neitmann und Bernhard Jähnig sind in dieser Hinsicht überzeugender, aber weitgehend redundant, weitere Wiederholungen finden sich im folgenden Text von Martin Keßler.
Damit ist ein Aspekt angesprochen, der auch für andere Einleitungstexte gilt: Immer wieder erfahren sie nennenswerte Vertiefungen durch die nachfolgenden Objektbeschreibungen, in denen Detailstudien geleistet werden. Manche der Essay tragen nur wenig bei, was nicht auch aus den Objektbeschreibungen deutlich würde. Hier führt die Aufgabenteilung zwischen Ausstellungsmachern und Experten zu vielen Doppelungen, aber dies ist ein "Luxusproblem", das bei einer anderen Gliederung, nämlich vorangestellte Aufsätze und anschließender Katalogteil, nicht so stark aufgefallen wäre. Eine große Stärke des Katalogs ist dagegen das klare und konsequente Layout. Objektbeschreibungen und Aufsätze erfahren zudem hilfreiche Ergänzungen durch didaktisches Material wie Karten, Zeittafeln, Stammbäume oder, besonders lobenswert, die vollständige Wiedergabe von Inschriften, die sonst in Ausstellungskatalogen immer noch sträflich vernachlässigt werden.
Insgesamt behandelt der empfehlenswerte Katalog zahlreiche am Beispiel von Brandenburg und Preußen aufgezeigte Detailfragen des großen Themas "Was bedeutete Reformation und wie äußerte sie sich im Alltag?" anhand von aussagekräftigen, teils faszinierenden Exponaten - von der theologischen Grundsatzthematik "Freiheit" her erklärt. In konzeptioneller Durchgestaltung und im Reichtum der Einzelbeobachtungen leistet er einen substantiellen (und dabei erschwinglichen) Beitrag zur Reformationsgeschichte Brandenburgs und Preußens.
Anmerkungen:
[1] Allein die von der Bundesregierung geförderten Ausstellungen belaufen sich auf 55, wie sich dem eigens eingerichteten Informationsportal entnehmen lässt: https://www.reformationsjubilaeum-bund.de/SiteGlobals/Forms/Webs/Reformationsjubilaeum/Suche/DE/Veranstaltungssuche_Formular.html?nn=2122486&cl2Categories_Typ=ausstellung.
[2] Die Ausstellung in Potsdam erwies sich als Publikumserfolg und fand fast 14.000 Besucher: https://www.luther2017.de/neuigkeiten/fast-14000-besucher-sahen-die-potsdamer-sonderausstellung-reformation-und-freiheit-luther-und-die-folgen-fuer-brandenburg-und-preussen/.
[3] Einen Eindruck davon vermittelt die Webseite der Ausstellung: https://www.hbpg.de/ausstellungen/archiv/reformation-und-freiheit.html?L=0.
Henning P. Jürgens