Eva Haberstock: Der Augsburger Stadtwerkmeister Elias Holl (1573-1646). Werkverzeichnis (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Augsburg; Bd. 7), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2016, 503 S., 250 Farb-, 168 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0094-8, EUR 49,95
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Über den Augsburger Stadtwerkmeister Elias Holl (1573-1646), den Erbauer des Rathauses und zahlreicher anderer Gebäude, wird seit den 1880er-Jahren geforscht. Die Vorstellungen, die man sich von ihm machte, wandelten sich mehrfach. Er wurde als genialer Baumeister angesehen, dann sprach man ihm die Entwürfe einiger anspruchsvoller Bauten ab und sah in ihm nur den Werkmeister, der sie lediglich ausgeführt habe. Seit längerer Zeit betrachtet man ihn auf breiterer Quellengrundlage auch sozialgeschichtlich und im Zusammenhang der komplexen Prozesse bei städtischen Bauvorhaben. Jetzt wird mit dem Buch von Eva Haberstock (ursprünglich eine Dissertation, 2010) der weiteren Forschung eine bessere und solide Grundlage gegeben. Das 'Werkverzeichnis' ist keine klassische Monografie mit bau- und stilhistorischen Untersuchungen, sondern die Edition der wesentlichen Dokumente zu Holls Werk, nämlich die Transkription fast aller bekannten schriftlichen Quellen und der Katalog des Planmaterials, das auf Holl zurückgeht. Bislang waren wenige Quellen zuverlässig ediert, viele Pläne nicht publiziert; die Autorin fand noch circa 70, die Holl zuzuschreiben sind. Von und zu Elias Holl ist mehr als zu den meisten anderen, nicht nur deutschen Architekten des 17. Jahrhunderts überliefert: Selbstzeugnisse, amtliche Unterlagen, Pläne, Konstruktionszeichnungen, Skizzen, Modelle. Hiervon dürfte nun (fast) alles veröffentlicht sein.
Die Einleitung skizziert die Forschungsgeschichte mit den drei grob zu unterscheidenden Sichtweisen auf ihn: der Stilisierung Holls als selbständig schöpferischen Baumeister, der Einschränkung auf einen Werkmeister, der nach den Entwürfen anderer baute, der Eingliederung in das Kollektiv der städtischen Bauverwaltung. Der letzteren, jüngeren Sicht schließt sich die Autorin an, da sie diese durch das dokumentarische Material, zumal das neu entdeckte, bestätigt sieht.
Im ersten Hauptteil sind - nach Erläuterung der Quellenlage und Einordnung der Quellen in die Biografie sowie die Verwaltungsstruktur - alle autografen Amtsbücher von Holl und die wichtigsten Akten des Baumeisteramts zu seiner Tätigkeit ediert. Am aufschlussreichsten ist die immer wieder zitierte, hier endlich nach der ältesten Abschrift publizierte sogenannte Hauschronik (39-86), ein auch im internationalen Vergleich außerordentlicher Bericht von Holl für die eigene Familie, in dem er selbstbewusst seine Arbeiten beschreibt. Aus den amtlichen Akten folgen Holls 'Beschatzungsbuch' mit Schätzungen zu Grundstücken und Gebäuden, die Notate aus dem 'Vermessungsbuch' mit über 100 Grundrissen von Liegenschaften in der Stadt und das 'Zeichnungsbuch', in dem er die eigenen Erfahrungen unter anderem mit Baugeometrie, Vermessungstechnik und Materialkunde lehrbuchhaft zusammentrug (Text: 111-137, verkleinerte Abbildungen sämtlicher Seiten: 436-471). Ferner sind für Holl bedeutsame Auszüge aus dem 'Diensttagebuch' des Leiters des Baumeisteramts und eine Anzahl von anderen Aktenstücken (Kostenvoranschläge, Verträge, Gutachten, Gesuche, Schriftstücke zur Bestallung) aufgenommen; nicht wiederholt sind die bereits 1887 abgedruckten Quellen zum Rathausbau. Alle Schriftstücke sind nur mit den nötigsten textkritischen Anmerkungen sowie Erläuterungen zu Sachen und Personen versehen.
Den zweiten Teil bilden knapp 200 zeichnerische Quellen: Pläne, Entwürfe, Gutachten, darunter die nun gefundenen aus der städtischen Registratur, bei denen es sich um Bauaufnahmen, Grundstücksvermessungen und Risse zu Maßnahmen an den Lechkanälen handelt. Alle Blätter sind farbig abgebildet und mit den Angaben zu Titel, Datum, Maßen etc. versehen, doch wurden die Beschriftungen nicht transkribiert. Dafür aber sind sie durch Verweise jeweils mit den übrigen Quellen verknüpft, ferner sind ihnen die Abbildungen von 31 Grundrissen aus dem Vermessungsbuch zu den entsprechenden Bauten beigegeben. Zudem sind schriftliche und zeichnerische Zeugnisse zusammengeführt, indem in einer chronologischen Liste der Hauschronik-Notate zu den einzelnen Arbeiten die jeweiligen Pläne und Risse stark verkleinert wiedergegeben sind (389-435). Diese Korrelationen erleichtern es erheblich, den Gesamtbestand zu überblicken und zu verstehen. Die Bauten selbst aber kommen nicht einmal in Abbildungen vor.
Die neue Überlieferungslage mit den wieder gefundenen Plänen zu städtischen Zweckbauten verdeutlicht mehr als zuvor Holls Rolle als Werkmeister innerhalb des Baumeisteramts und als Mitglied eines Kollektivs, zu dem Viele, von den Stadtpflegern bis zu den Handwerkern gehörten. Er war mit einer Reihe von Aufgaben betraut, mit organisatorischen und vor allem ingenieurtechnischen im Hoch- und Tief- sowie im Wasserbau, er nahm zahlreiche Vermessungen vor, hatte offenbar großes handwerkliches Verständnis und baute nach fremden und eigenen Plänen. Es handelte sich um mehr als 100 Gebäude und Baumaßnahmen. Dass man sich bisher in erster Linie für Holls selbständige Entwürfe und daher besonders auch für Zuschreibungsfragen interessierte, entspricht nicht dem Gewicht, das dieser Teil seiner Tätigkeit hatte. Haberstock nimmt die fremden Entwürfe der 'Malerarchitekten' Joseph Heintz d.Ä. und Matthias Kager zwar ins Verzeichnis auf, debattiert aber die hieran gebundenen alten Forschungsfragen um berechtigte oder irrtümliche Abschreibungen nicht erneut, da sie keine Untersuchung zu Stil, italienischen Anregungen und Holls Position in der Architektur seiner Zeit beabsichtigt, sondern erst einmal den gesamten Bestand an Quellen präsentieren will.
Das Buch geriet aber (auch) deshalb sofort zwischen alte Fronten der Forschung. [1] Jürgen Zimmer, der die Tradition, Heintz als den Entwerfer von Bauten herauszustreichen und Holl als bloßen Werkmeister anzusehen, in den 1970er-Jahren fortgesetzt hatte, verweist in einer sehr langen Besprechung auf einige fehlerhafte Details und nicht genannte Pläne, stellt vor allem jedoch überzogene Forderungen an das Buch, formuliert haltlose Behauptungen und wirft der Autorin gar eine "Konstruktion der Geschichte" und "bedingungslosen Anschluss" an Bernd Roeck vor, in dem er anscheinend seit Jahrzehnten seinen eigentlichen 'Gegner' sieht. Roeck, der in seiner Monografie über Holl 1985 von sozialhistorischen Fragen herkommend diesen als Teil eines Kollektivs erkannt hatte [2], reagiert hierauf in einer Gegendarstellung, nimmt zu Recht Haberstock gegen Zimmer in Schutz und stellt manches richtig; er lobt das Buch als 'Meilenstein'. Zwar antwortet er auch ausführlich in eigener Sache und deckt Details des damaligen Streits auf, jedoch wird der verheerende Eindruck, den Zimmer von dem Buch zu vermitteln sucht, erfreulicherweise korrigiert.
Haberstock geht es nicht darum, eine Künstlermonografie zu schreiben und Holl gegenüber Heintz oder Kager zu 'rehabilitieren', das stadtprägende, vielen Gewerken damals Arbeit verschaffende Augsburger Bauprogramm und Holls Bauten im Zusammenhang der Architektur des frühen 17. Jahrhunderts zu charakterisieren. Vielmehr hat die gründliche Quellenedition ihren Wert in sich; sie klärt Vieles, legt die Tätigkeit eines Mannes wie Holl offen und veranschaulicht den Vorrang des Praktischen, von dem auch in der Hauschronik überwiegend die Rede ist, vor dem Künstlerischen. Hiermit können nun Andere arbeiten. Auch die beiden Rezensionen zu lesen, wird nützlich sein, da einzelne Einwände weiterhelfen und die alten Streitfragen in der neuen Zuspitzung deutlich werden.
Anmerkungen:
[1] Jürgen Zimmer: Elias Holl - Anmerkungen zu einer Neuerscheinung, und: Bernd Roeck: Ein Meilenstein der Holl-Forschung. Über das "Werkverzeichnis" Eva Haberstocks. Zugleich ein Kommentar zu Jürgen Zimmers "Anmerkungen zu einer Neuerscheinung", in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 110 (2018), 37-60 und 61-73.
[2] Bernd Roeck: Elias Holl. Architekt einer europäischen Stadt, Regensburg 1985.
Christoph Bellot