Stefan Creuzberger / Fred Mrotzek / Mario Niemann (Hgg.): Land im Umbruch. Mecklenburg-Vorpommern nach dem Ende der DDR (= Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert; Bd. 4), Berlin: BeBra Verlag 2018, 526 S., 74 s/w-Abb., zahlr. Tabl., ISBN 978-3-95410-079-8, EUR 34,00
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Land im Umbruch - der wuchtige Titel, den die Herausgeber für ihre Nachwende-Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns gewählt haben, zeigt sich als erstaunlich vielschichtig, verweist er doch auf tiefgreifende Veränderungsprozesse in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, die nicht nur dieses Bundesland betrafen, sondern die gesamte ehemalige DDR und letztlich auch die neue Bundesrepublik. Den Herausgebern geht es vor allem darum, den "Übergang von der sozialistischen Diktatur in eine parlamentarische Demokratie" (9) und die damit einhergehenden politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt biografischen Umbrüche möglichst umfassend darzustellen. Begründet wird dieses Interesse mit einem Desiderat: Zwar gelte der Zusammenbruch der DDR als gut untersucht, die zeithistorische Transformationsforschung stehe hingegen erst am Anfang. Die Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung zeigt den Versuch der Herausgeber, sowohl neue Themenfelder zu vermessen als auch der politischen Bildung Impulse zu geben. In diesem Sinne soll der Band "aufklärerisch und identitätsstiftend wirken" (22) und eine möglichst breite Leserschaft erreichen.
Einleitend stellt Fred Mrotzek die Entstehungsgeschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern dar. Er blendet dabei in preußische Zeiten zurück, um demokratische Traditionen in den beiden Landesteilen zu beleuchten. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Parteiensystem im Wandel. Es besteht aus Aufsätzen zu den wichtigsten Parteien - SDP beziehungsweise SPD, SED, LDPD/FDP und CDU - sowie zur ersten Landtagswahl am 14. Oktober 1990. Im zweiten Kapitel Neuaufbau von Parlament und Administration beleuchten drei Aufsätze die Etablierung des Landtags, die Verfassungsgebung und die Neuordnung der kommunalen Gebietskörperschaften. Darüber hinaus werfen drei Zeitzeugen in kürzeren Interviews persönliche Schlaglichter auf die Umwälzungen in der Finanzpolitik und der Justiz sowie beim Zoll. Der Aufsatz über die fremdenfeindliche Gewalt in Rostock-Lichtenhagen 1992 liegt etwas außerhalb dieser politisch-administrativen Perspektive, thematisiert gleichwohl Strukturprobleme einer noch ungefestigten Demokratie. Die ökonomische Dimension der Transformation wird anhand der Entwicklungen in der Landwirtschaft, der Schiffbauindustrie, dem Tourismus und der Wirtschaft im Ostseeraum im Kapitel Wirtschaft im Umbruch behandelt. Die folgenden vier Kapitel beschäftigen sich mit den gesellschaftlichen Umwälzungen. Bildungspolitik als gesellschaftliche Herausforderung nennt sich das fünfte Kapitel, in dem in drei Aufsätzen der Umbau des Schul- und Hochschulwesens beleuchtet wird. In Umbau der Medienlandschaft wird die Darstellung der regionalen Presse und ihrer Umgestaltung um ein weiteres Zeitzeugengespräch ergänzt. Der Abschnitt Wandel in den Kirchen analysiert die Entwicklungen der beiden christlichen Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Die in diesen Aufsätzen dargelegten innerkatholischen Debatten über die Rückführung der Region in das Bistum Osnabrück sowie die (Wieder-)Benennung der Evangelischen Landeskirche Greifswald in die Pommersche Evangelische Kirche nach 1990 schlagen Brücken zu Fragen nach historisch gewachsenen territorialen Identitäten. Dem Umgang mit dem historischen Erbe widmet sich das letzte Kapitel, dessen drei Aufsätze sich trotz des gemeinsamen Oberthemas inhaltlich sehr divergent präsentieren. Einerseits beschäftigt sich der Zeitzeuge Volker Hoffer mit den Stasi-Unterlagen, andererseits beleuchtet Oliver Plessow den erinnerungskulturellen Wandel. Darüber hinaus erlaubt der Beitrag von Martin Schoebel einen Blick in die Bestände des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern zur Frühgeschichte dieses Bundeslands.
So breit der Band auch inhaltlich angelegt ist, so unterschiedlich ist sowohl die sachlich-fachliche als auch die sprachliche Qualität der Einzelbeiträge. Einige Aufsätze gehen mit wissenschaftlichen Standards wie einer einleitenden Fragestellung und hinreichenden Verweisen eher sorglos um, was die Herausgeber in ihrer Einleitung mit dem Mangel an Fachliteratur zu rechtfertigen versuchen. Dass allerdings - wie im Fall von Ingo Sens' Werften-Aufsatz - bereits vorhandene Forschungen nicht beachtet werden und stattdessen teilweise wenig aussagekräftige Internetquellen angegeben werden, muss vor dem Hintergrund, dass sich das Buch ausdrücklich auch an ein historisch-fachliches Publikum richten soll, bemängelt werden.
Trotz des auf den ersten Blick ausgewogenen Inhaltsverzeichnisses kann die Gewichtung einzelner Themen leicht ein schiefes Bild erzeugen. Wenn man bedenkt, dass die ökonomische Transformation vom Plan zum Markt nach 1989 ebenso grundlegend wie einschneidend gewesen ist, so erscheint das Kapitel zur Wirtschaft mit einem Umfang von nur 85 Seiten sehr knapp bemessen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschichte der Region Schlaglichter auf die bundesweite Entwicklung werfen soll, kommt mit der Treuhandanstalt mindestens einer der zentralen Akteure zu kurz. Auch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 mit ihren weitreichenden Folgen wird nur am Rande erwähnt. Eine umfangreichere Einbettung in übergeordnete Zusammenhänge wäre hier wünschenswert gewesen. Darüber hinaus hätte man sich eine intensivere Beschäftigung mit den Bürgerbewegungen der späten 1980er Jahre und ihrer Bedeutung für die friedliche Revolution gewünscht.
Bei den meisten Aufsätzen handelt es sich - trotz aller Kritik - um informierende Texte, die dem Anspruch des Sammelbands gerecht werden und einer breiten Leserschaft einen ersten Einblick in die Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns nach der "Wende" ermöglichen. Als Beispiele für besonders gelungene Beiträge, die dazu anregen, sich eingehender mit der Materie zu beschäftigen, seien zu nennen: Der Aufsatz zur Hochschulpolitik an der Universität Rostock (Daniel Lehmann und Kersten Krüger), zu Rostock-Lichtenhagen (Gudrun Heinrich), zur Evangelischen Kirche (Klaus-Dieter Kaiser), zum parlamentarischen Neustart (Stefan Ewert und Oliver Gladow), zur Landtagswahl von 1990 (Steffen Schoon und Nikolaus Werz), zu den Vernetzungen im Ostseeraum (Martin Koschkar) sowie alle Aufsätze zu den Parteien (Werner Müller, Christian Nestler und Christopher Scheele, Ines Soldwisch). In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auf den Beitrag von Martin Schoebel zu verweisen, der dazu einlädt, sich der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns über das Studium der Akten zu nähern.
Eva Lütkemeyer