Tom Junes: Student Politics in Communist Poland. Generations of Consent and Dissent, Lanham, MD: Lexington Books 2015, XXXIII + 293 S., ISBN 978-0-7391-8030-3, GBP 70,00
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Im Mittelpunkt der umfassenden Arbeit von Tom Junes, die aus seinem PhD-Projekt hervorgegangen ist, stehen studentische und Jugendorganisationen: ihre Positionierung gegenüber der polnischen kommunistischen Regierung, ihre Mobilisierungsstrategien und die Hauptakteurinnen und-akteure. Diese untersucht der Autor in vier chronologischen Abschnitten, mit denen er gleichzeitig die Geschichte der Jugend- und Studentenbewegung im kommunistischen Polen schlüssig periodisiert. Die erste Periode umfasst mit den Jahren 1944-1957 die Zeit des Wiederaufbaus Polens nach dem Zweiten Weltkrieg, die Etablierung des kommunistischen Systems und die stalinistischen Repressionen bis zur Entstalinisierung. Besonderes Augenmerk gilt hier den Protesten im Oktober 1956. Die zweite Periode 1957-1968 umfasst die Versuche der Regierung, die Studierenden nach den Ereignissen von 1956 stärker zu kontrollieren, sowie die Formierung der studentischen Opposition und die Proteste von 1968. Im dritten Zeitabschnitt stehen zunächst der erneute, mit Repressionen einhergehende Kontrollversuch der Regierung und daran anschließend die Entfaltung der studentischen Opposition in den 1970er Jahren im Mittelpunkt. Die letzte Periode beginnt mit der Gründung der Solidarność und endet mit dem Beginn der politischen Transformation im Jahr 1989. Hier wird beschrieben, wie das studentische Milieu mit der Solidarność zusammenhing, aber auch, wie es sich über politische Inhalte hinaus zu einer Jugendbewegung verbreiterte, deren Kritik an der allgemeinen Situation sich über Popkultur und insbesondere Musik ausdrückte.
Die Schlüsselkategorie der Studie ist nicht etwa "Klasse" oder "Ideologie", sondern, was bereits der Untertitel des Buches signalisiert, "Generation". Junes ist überzeugt, dass Unterschiede im Mobilisierungsgrad und Aktionsspektrum weniger an Klassen oder Gruppen, sondern vielmehr an Generationen festzumachen sind. In diesem Sinne differenziert er, analog zu seiner Periodisierung, zwischen den Generationen von 1946, 1956,1968, 1980/81 und 1989. Er bindet den Generationenbegriff an weitgehende Gleichaltrigkeit und vor allem die gleichzeitige Absolvierung des gemeinhin fünfjährigen Studiums. Damit trägt er der ständigen Veränderung der Zusammensetzung der Studierendenschaft, aber auch den sich wandelnden Lebensbedingungen Rechnung. Durch die methodologische Operationalisierung dieses engen Generationenbegriffes kann er Unterschiede und Wandlungsprozesse herausarbeiten, die bei herkömmlichen Einteilungen in drei Generationen kaum sichtbar werden.
Junes Generationenmodell positioniert sich gegen die These, dass Arbeiterwiderstand und Studierendenbewegung nach 1956 weitgehend voneinander getrennt gewesen seien. Er unterstreicht, dass Demonstrationen und Streiks vor allem von jungen Menschen einer Generation bestritten wurden, die sowohl von den Universitäten als auch aus den Betrieben kamen. Weiter argumentiert er, dass die Studierendenbewegung es geschafft habe, bestimmte Haltungen und Werte in der gesamten Jugend zu verbreiten. Damit habe es eine gemeinsame Basis von Arbeitern und Studierenden einer Generation gegeben. Vor allem nach 1956, so Junes, sei Generationszugehörigkeit ein stärkeres Band der Solidarität und des gemeinsamen Engagements gewesen als Klassenzugehörigkeit. Gerade anhand der Ereignisse von 1968 gelingt es ihm, seine These schlüssig zu belegen. Dabei ordnet er die Studentenbewegung weniger in eine politische Polarisierung denn in einen Generationenkonflikt zwischen der jeweils jungen Generation und dem kommunistischen Establishment ein.
Im Zuge seiner Beschreibung der politischen Sozialisation verschiedener Generationen schildert Junes verschiedene Einflüsse, die jeweils für einen Teil der Bewegung prägend gewesen seien. Er geht beispielsweise auf den in Polen lebendigen Mythos widerständiger Studierender ein, der sich bereits auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bezieht. Er beschreibt ferner die Rolle der Katholischen Kirche in der moralischen und politischen Sozialisierung, aber auch die der benachbarten Tschechoslowakei, vor allem im Kontext des Prager Frühlings. Schließlich würdigt er politische und popkulturelle Einflüsse aus dem Westen, insbesondere der 68er-Bewegung und der Hippiekultur.
Über die Priorisierung der politischen Sozialisation vernachlässigt Junes in seiner Analyse allerdings die Darstellung der Lebenswirklichkeiten der jeweiligen Generationen - die konkreten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, unter denen diese aufwuchsen und studierten, und ihre Alltagskultur und Freizeitgestaltung.
Gemäß seiner These, dass politischer Aktivismus immer von wenigen Aktiven getragen werde, beschäftigt sich Junes vor allem mit den Führungsfiguren studentischer Politik, und zwar sowohl unter den Befürwortern als auch unter den Gegnern des Regimes. Sein Interesse gilt ihren politischen Anliegen und Inhalten, ihren Mobilisierungsstrategien und den Faktoren ihres Erfolges, zu denen die jeweilige politische und wirtschaftliche Situation gehörte. Junes führte 50 Interviews mit fünf Akteurinnen und 45 Akteuren der Studentenbewegung, die er ausführlich zitiert, um seine Argumentation zu illustrieren. Die Integration persönlicher Erinnerungen und Stellungnahmen Junes´ verleihen seiner Untersuchung eine besondere Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Gerade diese Eigenschaft prädestiniert sein Werk für die Lehre, aber auch für eine außerwissenschaftliche Leserschaft. Das Material, das er bei den Interviews generierte, hätte aus Sicht der Oral History sicherlich stärker analytisch genutzt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass Junes es für eine weitere Publikation verwendet und die biografischen Entwicklungen von Haltungen und Netzwerken sowie politische und individuelle Kontinuitäten und Brüche herausarbeitet.
Gleichzeitig wäre es interessant gewesen, auch Studierende zu Wort kommen zu lassen, die nicht aus den ersten Reihen der Studentenbewegung kamen, wohl aber durch sie sozialisiert wurden. Aus dieser Gruppe rekrutierten sich ebenfalls politische Schlüsselakteurinnen und -akteure der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit. Hier bietet sich noch Stoff für eine weitere Untersuchung.
Mit dem Prisma der Jugend- und Studentenbewegung wählt Junes eine erfrischende Perspektive auf die politische und gesellschaftliche Geschichte Volkspolens zwischen 1944 bis 1989. Er würdigt die Bewegung sowohl als politische Kraft als auch als Ort und Kontext der politischen Sozialisation zahlreicher Akteurinnen und Akteure aus der Zeit der Wende 1989/90 und des Postkommunismus. In ihrem beeindruckenden Quellenreichtum und der analytischen Tiefe und Sorgfalt ist Junes Dokumentation der Jugend- und Studentenbewegung einzigartig. Gleichzeitig bietet sie bemerkenswerte Thesen zur historischen Einordnung an, die geeignet sind, den Forschungsdiskurs zu beleben und weiterzuentwickeln.
Imke Hansen