Otto von Bismarck: Schriften 1886-1887. Bearbeitet von Ulf Morgenstern (= Otto von Bismarck. Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe. Abt. III: 1871-1898. Schriften; Bd. 7), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018, CXIII + 681 S., ISBN 978-3-506-79217-4, EUR 88,00
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Der nun vorliegende siebte Band der Neuen Friedrichsruher Ausgabe der Schriften Otto von Bismarcks präsentiert 548 Dokumente - drei Viertel von ihnen erstmals gedruckt - aus den Jahren 1886 und 1887, dem Beginn der Spätphase seiner Reichskanzlerschaft, die von einer Vielzahl innen- und außenpolitischer Herausforderungen gekennzeichnet war. Die Dokumente verteilen sich ungefähr gleichgewichtig auf die beiden Jahre; den Inhalten nach überwiegen die außenpolitischen Themen die innenpolitischen. Ihrem Genre nach bieten die Texte von Telegrammen und Erlassen bis zu Aufzeichnungen und Diktaten sehr Unterschiedliches, und gleiches gilt für die Form der Verfasserschaft: Weniger als fünf Prozent der Texte wurden von Bismarck eigenhändig verfasst, einige wenige diktiert und das Gros von verschiedenen Mitarbeitern auf Weisung hin verfasst. Der Bearbeiter des Bandes, Ulf Morgenstern, erklärt dies mit Bismarcks enormem Arbeitspensum bei gleichzeitigem Abbau der körperlichen Kräfte - "verursacht durch die Dauerbelastungen von fast vier Dienstjahrzehnten und durch kulinarische Überspannung der eigenen Kräfte" (XII). In dieser Konstellation erfolgte der Aufstieg seines Sohnes Herbert, der als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zwar politischen Einfluss gewann, persönlich aber vom Vater gegängelt wurde, etwa als dieser im Herbst 1886 seine Heiratspläne sabotierte (241, 251).
Die diesen Zwist zwischen Vater und Sohn dokumentierenden Texte sind das einzige Beispiel, bei dem Morgenstern in der Einleitung darauf verweist, dass der Band bislang gänzlich Unbekanntes präsentiere (XXXVII), und in der Tat gibt die vorliegende Edition keinen Anlass, die bekannten Bismarck-Bilder zu revidieren. In der vergleichsweise knappen Einleitung versucht Morgenstern dies auch gar nicht, sondern greift in der Gesamtschau der Dokumente auf vertraute Paradigmen zurück: auf die Herrschaftsstrategie von "Einbindung und Kontrolle", die er im Umgang mit Bundesfürsten, Regierungsmitgliedern und Mitarbeitern praktizierte, und auf die Bedrohungswahrnehmung eines "Mehrfrontenkampfes", die sich mit der Boulanger-Krise zuspitzte und sich auch innenpolitisch bei den Kartellwahlen im Februar 1887 manifestierte. Im Zusammenhang dokumentieren die chronologisch gereihten Texte dies nicht; vielmehr präsentieren sie Mosaiksteine, deren Zusammensetzung den Leserinnen und Lesern überlassen bleibt. Hinzu kommt, dass Bismarck, wie Morgenstern in der Einleitung betont, "nur die Spitze des Eisbergs politischer Angelegenheiten erreichte" (XXX) und, so ließe sich ergänzen, einige wichtige Themen, wie etwa die Fortsetzung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie, in den Texten nur am Rande auftauchen, weil sie nicht erneut ausgehandelt werden mussten. Erschwert das Sammelsurium der Texte einerseits die Orientierung im politischen Geschehen der Jahre 1886 und 1887, so hat es andererseits den Vorzug, Einblicke in die Arbeitsweise Bismarcks zu ermöglichen, der auch dem Problem der massenhaften Einfuhr billiger Heringe aus Skandinavien Aufmerksamkeit zu widmen vermochte (437f.) oder nach bloßer Zeitungslektüre spontan darauf drängte, mit verschärften Polizei- und Grenzkontrollen auf die vermeintlich wachsende Kriminalität von "Zigeunern" zu reagieren (528f.).
Der Überblick über die formal und thematisch ständig wechselnden Dokumente wird durch die plausible und nutzerfreundliche Einrichtung der Edition erheblich erleichtert: So ist dem Quellenteil ein ausführliches Verzeichnis der Dokumente vorangestellt, in dem nicht nur die Daten und die Adressaten genannt, sondern auch kurze Inhaltangaben mitgeteilt werden. Diese finden sich, mutmaßlich um unnötiges Blättern zu vermeiden, nochmals in dem Dokumententeil unterhalb des Kopfes mit den Angaben der Archivsignaturen und gegebenenfalls Verweisen auf frühere Druckorte; dass bei einigen Marginalien die Inhaltsangaben länger sind als die Quellentexte selbst (z.B. 576), ist eine dem Schematismus geschuldete Kuriosität. Die Annotation der Dokumente wurde zurückhaltend vorgenommen: Marginalien der Dokumente werden nur bei inhaltlicher Relevanz in den Anmerkungen mitgeteilt, und insgesamt beschränken sich diese auf die Erläuterung von Sachen und Begriffen. Die Angaben zu Personen sind, um Wiederholungen zu vermeiden, aus den Anmerkungen ins Register verlagert. Dort finden sich neben den Lebensdaten auch Funktionsbeschreibungen, und die Absender und Adressaten der Quellenstücke lassen sich über fettgedruckte Seitenzahlen erschließen. Das thematisch disparate Werk bietet somit eine bequeme Benutzbarkeit - wohl vornehmlich für Bismarckexpertinnen und -experten, aber auch für jene, die Spezialinteressen auf dem Feld der politischen Geschichte des Kaiserreichs haben.
Frank Engehausen