Harald Gilbert: Der Krieg in der Ägäis. 1943-1944 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 78), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 332 S., 24 Kt., zahlr. Abb., ISBN 978-3-447-10913-0, EUR 40,00
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Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert. Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020
Seit Ende des 19. Jahrhunderts verfolgten die italienischen Regierungen im östlichen Mittelmeerraum eine Expansionspolitik. 1912 besetzten italienische Truppen die zum Osmanischen Reich gehörende Inselgruppe Dodekanes (Rhodos, Kos, Leros, Kalymnos usw.) im Südosten der Ägäis, deren Bevölkerung seit der Antike griechisch war. Unter Mussolini besetzte Italien im Frühjahr 1939 Albanien und griff von dort Ende Oktober 1940 Griechenland an. Das griechische Heer konnte den Angriff abwehren und die italienischen Streitkräfte sogar nach Albanien zurückdrängen.
Mussolinis Verbündeter Hitler plante für den Spätfrühling 1941 den Feldzug gegen die Sowjetunion. Italiens drohende Niederlage schuf für ihn eine neue Situation. Griechenlands Garantiemacht Großbritannien konnte dort Flugzeuge stationieren und so die rumänischen Ölfelder, die Hitler für seine Kriegspläne benötigte, bombardieren. Daher sollte Griechenland besetzt werden. Anfang April 1941 griff die Wehrmacht gleichzeitig Griechenland und Jugoslawien an. Der kurze Krieg endete mit der Besetzung beider Länder.
Griechenland wurde in drei Besatzungszonen aufgeteilt. Italienische Truppen besetzten etwa 70 Prozent des Landes. Darunter waren die Ionischen Inseln im Westen (Korfu, Kefalonia, Zakynthos usw.) und fast alle Inseln der Ägäis. Der Nordosten des Landes wurde von Bulgarien besetzt. Die Wehrmacht behielt nur einige für sie wichtige strategische Gebiete, wie z.B. Westkreta, Athen, Thessaloniki.
Anfang 1943 war der Krieg in Nordafrika für die Achsenmächte verloren. Im Juli landeten Streitkräfte der Alliierten auf Sizilien. Mussolini wurde in Rom entmachtet; die neue italienische Regierung kapitulierte im September mehr oder weniger bedingungslos vor den Alliierten und erklärte im Oktober dem Deutschen Reich den Krieg. Die Wehrmachtführung hatte mit dieser Entwicklung gerechnet und war durch Ausarbeitung entsprechender Pläne darauf vorbereitet. Es ging u.a. um die italienisch besetzten Gebiete in Griechenland und die dort stationierten italienischen Soldaten. Deren Lage war äußerst schwierig. Letztlich blieben drei Optionen: Kriegsgefangene der Wehrmacht zu werden, an ihrer Seite zu kämpfen oder zu den griechischen Partisanen überzulaufen. Von allen Möglichkeiten machten die Italiener Gebrauch.
Harald Gilbert befasst sich zuerst mit den militärischen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und italienischen Truppen, als erstere im September 1943 versuchten, die westgriechischen Inseln Kefalonia und Korfu unter ihre Kontrolle zu bringen. Nach dem deutschen Sieg wurden etwa 4000 bis 5000 italienische Soldaten und Offiziere ermordet, obwohl sie Kriegsgefangene waren - ein klares Kriegsverbrechen. Im Juni 1944 wurden rund 2000 Juden aus Korfu nach Auschwitz gebracht. Sehr wenige haben den Holocaust überlebt.
Weiter untersucht der Autor die Kriegsentwicklung in der Ägäis von September 1943 bis Kriegsende. Er zeigt auf, warum sowohl Churchill als auch Hitler, entgegen der Meinung ihrer Generäle, der Ägäis große strategische Bedeutung beimaßen. Churchill wollte dort eine neue Kriegsfront eröffnen, konnte sich aber gegen die US-Militärs nicht durchsetzen, die sich für Sizilien, Süditalien und die Normandie entschieden hatten. Trotzdem sandte er im Herbst 1943 britische Militäreinheiten, um einige Dodekanes-Inseln friedlich oder mit Gewalt von den Italienern zu übernehmen. Das gelang auf Kos und Leros. Daraufhin griff die Wehrmacht die Briten dort und die Italiener auf Rhodos an. Nach erfolgreichem Schlachtausgang kontrollierte sie alle strategisch wichtigen Inseln der Ägäis.
Tausende italienische Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Etwa 94000 sollten von den Inseln auf das griechische Festland gebracht werden. Als einige überfüllte Transportschiffe von der britischen Marine versenkt wurden, ertranken rund 13400 von ihnen. Auch Griechen, griechische Juden und Deutsche fanden dabei den Tod. Im Sommer 1944 deportierten die Nationalsozialisten rund 1800 Juden aus Rhodos und Kos nach Auschwitz. Nur etwa 160 überlebten.
Im Oktober 1944 musste sich die Wehrmacht überstürzt aus Griechenland zurückziehen. Dabei war es nicht möglich, alle Soldaten von den griechischen Inseln mitzunehmen. Etwa 23000 Deutsche und 10000 italienische Soldaten blieben zurück. Militärische Auseinandersetzungen zwischen Wehrmacht und britischen bzw. griechischen Kommandoeinheiten setzten sich auf manchen Inseln bis zum Ende des Weltkrieges fort. Es waren aber eher Scharmützel als Schlachten.
Rhodos als größte Insel der Dodekanes war von September 1943 bis Mai 1945 von deutschen Truppen besetzt. Der Verfasser untersucht die verschiedenen Aspekte dieser Zeit. Er behandelt z.B. den Umgang mit der Zivilbevölkerung, die wirtschaftliche Situation, die Inflation, die schwierige Versorgung mit Nahrungsmitteln, die Hilfe des Roten Kreuzes und die Bemühungen der Wehrmacht, italienische Soldaten als Kämpfer oder als Hilfspersonal auf ihre Seite zu ziehen. Weiterhin befasst er sich mit dem Alltagsleben der Wehrmachtsangehörigen. Dazu gehörten die Bekämpfung der Malaria und der Gesundheitszustand der Truppe, die Einrichtung von "Kriegsgärten", Viehdiebstähle der deutschen Soldaten, das Straflager Calitea, ferner die Feldpost und Berichte der Feldgendarmerie bzw. des Divisionsrichters.
Insgesamt berücksichtigt der Verfasser also sowohl die strategischen bzw. politischen Überlegungen der Militärführungen der beteiligten Staaten als auch den Soldatenalltag. Das betrifft gleichermaßen Schlachten wie "friedliche" Zeiten. So gelingt es ihm, ein ausführliches, anschauliches und detailliertes Bild der Zeit zu vermitteln.
Allerdings sind einige kritische Bemerkungen angebracht. So werden die Termini Eroberung, Besetzung, Angriff, Überfall, Landung und Invasion von Gilbert unterschiedlich eingesetzt. Dabei ist nicht ganz ersichtlich, warum die Wehrmacht z. B. die Inseln Kefalonia, Korfu, Kos und Leros eroberte, während die Briten die Inseln der Dodekanes besetzten, oder warum die Wehrmacht feindliche Streitkräfte angriff, während britische und griechische Kommandoeinheiten die deutschen Truppen überfielen.
Die Rettung der griechischen Juden auf der Westinsel Zakynthos ist weniger das Verdienst des deutschen Befehlshabers als des Metropoliten und des Bürgermeisters. Beide wurden in den 1960er Jahren von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet. Der türkische Konsul auf Rhodos hätte eine Erwähnung verdient. Er rettete das Leben von etwa 50 Juden und wurde später ebenfalls als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.
Sowohl Rhodos als auch Symi gehören der Dodekanes und nicht der Inselgruppe der Sporaden an.
Die Schwachstelle des Buches sind Druck- bzw. Schreibfehler und die unterschiedliche Schreibweise griechischer Insel- bzw. Ortsnamen. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Syros/Siros (57, 79), Cypern/Zypern (69, 78), Castellorizo/Kastellorizo/Castellorizon (70), Syra/Syrah (35, 36, 275). Die griechische Kommandoeinheit Ieros Lochos (228, 244 usw.) wird auch als Hieros Lochos (238) erwähnt. In einer Zeile steht SS-Polizei und SS.-Leute (37). Die Häufigkeit dieser Fehler lässt den Schluss zu, dass das Buch leider nicht von einem Lektorat betreut wurde, das diese handwerklichen Unzulänglichkeiten ohne große Mühen hätte beheben können.
Derlei Fehler stören den Lesefluss etwas, beeinträchtigen aber nicht den Inhalt. Das Buch leistet einen sinnvollen Beitrag zu diesem wenig bekannten Kapitel des Zweiten Weltkrieges. Das ist umso wichtiger, da die deutschsprachige Literatur bezüglich dieser Thematik nicht gerade sehr üppig ist.
Ein Bericht über den deutschen Stabsarzt, Dr. Hans Löber, der auf der Kykladeninsel Milos stationiert war und viele Griechen behandelt hat, etwa 60 schwarz-weiß Fotos, rund 25 Militärkarten und -skizzen, eine Literaturliste und ein Namensindex runden das Buch ab.
Loukas Lymperopoulos