Thomas Mahnken / Joseph Maiolo / David Stevenson (eds.): Arms Races in International Politics. From the Nineteenth to the Twenty-First Century, Oxford: Oxford University Press 2016, xviii + 302 S., ISBN 978-0-19-873526-7, GBP 76,00
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Holger Afflerbach / David Stevenson (eds.): An Improbable War? The Outbreak of World War I and European Political Culture before 1914, New York / Oxford: Berghahn Books 2007
Bewaffnete Rivalitäten zwischen politischen Gemeinschaften seien ein altes Element, Wettrüsten sei aber vergleichsweise neu, beginnt Joseph Maiolo seine Einleitung. Arms races werden mit einer Definition Samuel Huntingtons von 1958 als "progressive, competitive peacetime increase in armaments by two states or coalitions of states resulting from conflicting purposes or mutual fear" (3) verstanden. Doch damit ist längst nicht alles gesagt, sondern eher ein Oberflächenphänomen benannt, wenn in diesem Band der von Huntington pauschal genannte Nachsatz zu "purposes" and "fears" breit aufgefächert wird. Gerade in der politikwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung hat sich im letzten halben Jahrhundert eine ganze Forschungsrichtung nicht nur in der englischsprachigen Welt mit prognostischer oder probabilistischer Ausrichtung der Analyse von Rüstungswettläufen zugewandt.
Da ist es nützlich, dass sich zwei renommierte Historiker der London School of Economics (Maiolo und Stevenson) zusammen mit Mahnken, u.a. Chair of Economic Geography and Strategic Studies am US-Naval War College, dieses Feldes mit historischer Tiefenschärfe annehmen. Immer wieder beziehen sie und ihre Autoren sich auf politikwissenschaftliche Studien, vor allem auf Barry Buzans und Eric Herrings enzyklopädisches Standardwerk [1]. Sie stellen vornehmlich drei Fragen: Es geht erstens um die Rolle technologischen Wandels, zweitens um innenpolitische Ursachen - primär in Richtung auf den militärisch-industriellen Komplex formuliert - und drittens um das Verhältnis Aktion-Reaktion in der internationalen Politik.
Der Band ist ein wenig verschachtelt und redundant aufgebaut, wenn in vier Teilen chronologische Phasen benannt werden: vor 1914, zwischen den Weltkriegen, Wettrüsten im Kalten Krieg sowie die Zeit danach und außereuropäische Phänomene. Der Band selbst hat eine Einleitung von Maiolo und ein Schlusswort von Stevenson; jedes Kapitel wiederum hat erneut eine Einleitung, der in jedem Teil zwei bis vier Fallstudien folgen - insgesamt sind es 12. Viele Autoren haben selbst Monographien zur internationalen Geschichte der von ihnen behandelten Zeit vorgelegt, sind also hervorragende Fachleute, die nicht im Faktischen ersticken, sondern gezielt, aber auch historisch differenziert auf die Themenfrage hin argumentieren können.
Für die Vorweltkriegszeit seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts benennt Stevenson in der Einleitung eine Fülle weiterer kleiner Rüstungswettläufe, handelt selbst knapp die "races" zu Lande für Zeit 1866 bis 1870 und - so bisher kaum beachtet - 1887 bis 1893 ab; sein Hauptaugenmerk gilt den Jahren 1910 bis 1914. Sein Fazit für den letzteren Fall: "The armaments race and associate shift in military balance by no means constitute a sufficient explanation of the outbreak of war" (48 f.). Er sieht den Hauptzweck von Rüstung im action-reaction model, nämlich die Abschreckung zu verstärken, wenn das Krisenmanagement einmal schieflief (46 f.). Für das deutsch-britische "naval race" arbeitet Matthew S. Seligmann heraus, dass Tirpitz und die Seinen in den Rüstungen wohl am stärksten "a peacetime leverage in great power affairs" (23) gesehen hätten, ein Rennen, das materiell 1912 verloren gewesen sei.
Für die Zwischenkriegszeit betont Maiolo, der im Kern das Thema schon monographisch behandelt hat [2], die Bedeutung von Rüstung habe sich gewandelt, sie umfasse tendenziell auch die "Tiefenrüstung" - ein Begriff des Wehrmachtrüstungsgenerals Georg Thomas -, also die Mobilmachung zum Totalen Krieg. Dennoch sind die drei Beiträge hierzu eher traditionell Armee, Marine und Luftwaffe gewidmet. Evan Mawdsly findet alle drei genannten Faktoren wirksam, aber je nach Staat und Zeit unterschiedlich. Er fügt einen Faktor Ideologie hinzu, die eine wichtige Rolle habe, besonders bei den Nazis und ihrer Politik. Dem ist nachdrücklich beizupflichten: Das begrenzt den generellen Erkenntnisgewinn einer allein auf arms races ausgerichteten Sicht. Maiolo selbst untersucht für die Marinen, sehr bedeutsam in sich, die letztlich gescheiterten Versuche seit 1920, arms races durch arms control zu begrenzen. Es habe dann sowohl in Europa vor 1939 als auch in Asien vor 1941 Wettrüsten gegeben, doch sei das peripher für den Kriegsausbruch gewesen. Technologischen Wandel und Spionage stellt Richard Overy kenntnisreich für die internationalen Luftrüstungen heraus.
Für den Kalten Krieg gibt es - etwas merkwürdig - je einen Beitrag über die USA und die Sowjetunion sowie drittens eine Synthese von Vojtech Mastny - über den Dingen und in den Quellen stehend, wie immer, aber ohne Bezug zu den gestellten Kategorien: Wir wissen heute, dass keine Seite einen großen Krieg wollte. Timothy Hoyt erkennt als treibende Kräfte in den USA zwei externe Faktoren: Sorge vor sowjetischem Übergewicht bei konventionellen Streitkräften, dann nach der Kubakrise 1962 die Sorge wegen der sowjetischen Rüstung. Für die Sowjetunion (Sergej Radschenko) waren die Triebkräfte das Streben nach Prestige bzw. Sicherheit - ein recht nüchterner Befund. Für die Zeit nach 1990 beobachtet Thomas Mahnken im vierten Teil Wettbewerb, aber kein Rennen, wenn er die Beziehungen der USA und Chinas in den Vordergrund stellt; das reicht bis etwa 2012. Drei weitere sehr kenntnisreiche Aufsätze zu sonst wenig bekannten Themen sind der arabisch-israelische Konflikt (Abi Kober), Südasien (also Indien und Pakistan, 1953 bis 1965 von Rudra Chaudhuri) und China in Ostasien seit 2000 (Tai Ming Cheung): nützliche Faktenermittlungen bei oft unsicherem Forschungsstand über die Motive zum Rüsten.
Was bleibt? Bekanntlich kam es nach den ersten beiden Phasen des Wettrüstens zu Weltkriegen, im Kalten Krieg jedoch nicht. Stevenson resümiert als weiteres Ergebnis, die Kriege 1870, 1914 und 1939 seien zu einem Zeitpunkt begonnen worden, als das Wettrüsten zu einer Art "convergence" (292) geführt habe. Er macht auch darauf aufmerksam, dass bei mehreren arms races besonders prekäre Situationen entstanden, wenn diese oder jene Macht den Eindruck hatte, relative Rüstungsvorsprünge würden in der erwarteten Dynamik der internationalen Rüstungen demnächst verloren gehen. Immer wieder wird deutlich: Technologischer Fortschritt, innenpolitische Motive oder Aktion-Reaktion-Modi spielten eine Rolle - mal mehr, mal weniger.
Alles das ist zutreffend, bringt freilich für eine vergleichende arms race-Forschung keine neuen Sicherheiten, wohl aber fundierte Befunde. Entscheidend scheint doch insgesamt zu sein, ob Staaten expansions- und kriegswillig waren und die Rüstungen als Hebel für Erpressung in Friedenszeiten benutzten, aber mit Kriegsabsicht dahinter - oder eben nicht. Diese Einsicht eröffnet ganz andere Kategorien der historischen Interpretation. Das dürfte im globalem Maßstab mit dem Wandel des potenziell "totalen Krieges" noch einmal wichtiger geworden sein, wo es nicht nur um die wirtschaftliche, sondern auch um die mentale und emotionale Bereitschaft von Gesellschaften zu ihrer totalen Mobilisierung und um Durchhalten ging [3]: Kriegsbilder und Kriege wandelten ihren Charakter. Darüber hinaus wird gelegentlich, aber wohl zu wenig die Figur des Sicherheitsdilemmas herangezogen, die doch vieles bereits anspricht. "Windows of opportunity" entstanden im Bewusstsein von Staatsführungen; ob sie zu Kriegen genutzt wurden oder nicht, hing jedoch - da sind sich alle Historiker in diesem Band wohl einig - von ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Faktoren ab [4]. Ein interessanter Sammelband liegt vor, der den Dialog der Disziplinen anregen kann.
Anmerkungen:
[1] Barry Buzan / Eric Herring: The Arms Dynamics in World Politics, London 1998.
[2] Joseph Maiolo: Cry Havoc. How the Arms Race Drove the World to War, 1931-1941, New York 2010.
[3] Die in mehreren großen Tagungen und Sammelbänden von Roger Chickering und Stig Förster zwischen 1996 und 2010 zur Entwicklung des Totalen Kriegs vorgelegten Erkenntnisse finden leider nur geringen Eingang.
[4] Dazu früh schon und kenntnisreich: Richard Ned Lebow: Windows of Opportunity. Do States Jump Through Them? In: International Security 9 (1984), 147-186.
Jost Dülffer