Ute Lotz-Heumann / Susan Karant-Nunn (eds.): The Cultural History of the Reformations. Theories and Applications (= Wolfenbütteler Forschungen; 164), Wiesbaden: Harrassowitz 2021, 324 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11469-1, EUR 68,00
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Dieses Buch ist das Ergebnis einer Tagung, die 2016 in der HAB Wolfenbüttel als Auftakt zur Fünfhundertjahrfeier der Reformation 2017 stattfand. Dass sie sich der "Kulturgeschichte" der reformatorischen Bewegungen zuwandte, begründen die beiden Herausgeberinnen, bestens ausgewiesene Professorinnen für die Geschichte der Reformation an der University of Arizona / USA, in ihrem Vorwort mit Nachdruck. Die "kulturgeschichtliche Wende" (cultural turn) der 80er- und 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts habe die bis dahin sehr stark aus sozialgeschichtlicher Perspektive arbeitende Forschung zur Reformation methodisch wie inhaltlich wesentlich verändert.
Dieser Ansatz ist sehr anregend, die Beiträge des Bandes bilden allerdings kein geschlossenes Bild einer denkbaren methodisch-theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Deutungsmuster - auch das betonen die Herausgeberinnen in der Einleitung. Neben dem also sehr losen gemeinsamen roten Faden des "cultural turn" lassen sich anregende Einzelfallstudien zu thematischen Schwerpunkten (H. Puff, "Bedenkzeit"; D.M. Luebke: Sharing Sacred Spaces; Ph. Hahn: Towards a Sensory History of the Reformation; F. Loetz: Giving the Reformation a Voice; B. Heal: For Simple Folk and Connoisseurs; U. Lotz-Heumann: Healing Waters and Material Cultures; K. v. Greyerz: Protestantism, Knowledge and Science; K. Crowther: The Anatomy of Generation; S. Karant-Nunn: John Calvin's Sexuality: A. Walsham, The Mother's Legacy: R. Dürr, Luther and Acosta; U. Strasser: Of Missionaries and Makahnas) einerseits, von historiographischen Untersuchungen (Ch. Zika: Reformations Past and Future; M. Wiesner-Hanks: Women in the Cultural History of Global Reformation) andererseits unterscheiden.
Letztere verweist auf die lange Tradition des cultural turn in der angelsächsischen Historiographie. Zu Recht betont sie dabei die inzwischen breit akzeptierte Einsicht, dass "most historian [der Kulturgeschichte] have simply moved on, incorporating insights from postmodern positions but not feeling obliged to take a stand on its epistemological claims." (253) Die Historikerin L. Hunt, von der dieses Zitat stammt, schreibt weiter: "What remains is the study of culture, but to what end? The four paradigms of historical research [...] lost their standing, but cultural theories did not offer a compelling alternative. They were better at tearing down than rebuilding." [1]
Gilt dieses Fazit auch für die "cultural history of the reformations"? Die hier publizierten Einzelstudien belegen das keineswegs, es sind zum überwiegenden Teil Einzelfallstudien mit gewichtigen neuen Thesen, nicht aber Publikationen zur Auseinandersetzung mit der übergreifenden Frage nach der Relevanz der Kulturgeschichtsschreibung. Die Herausgeberinnen beschreiben dies treffend als "culture [...] is a boundless concept". (19) Das, was die Beiträge zu einem Teil verbindet, ist die eindeutige Ablehnung der Existenz einer konfessionsspezifischen Abgrenzung (Puff, Lübke, Loetz, Heal). Vielmehr gehen sie von einer zunehmenden Pluralisierung in den Gesellschaften des 16./17. Jahrhunderts aus, damit verbunden ist die Konkretisierung des Kulturbegriffes, so formuliert bei Heal (124): "Cultural history - perhaps best understood as a process of pluralization within the disziplin [...]". Diese Gruppe steht für eine in der Reformationsgeschichtsforschung immer selbstverständlicher werdende Annahme, dass die Konfessionalisierung ein Konstrukt der Historiker sei. Im Unterschied dazu betonen andere Beiträge weiterhin die Konsolidierung der Konfessionen und damit deren Funktion, das "Andere" abzugrenzen. (Lotz-Heumann, Karant-Nunn, v. Greyerz, Crowther). Eine dritte Gruppe schließlich betont die Notwendigkeit der Einbindung der Forschungen zur Reformation in die dominierende Globalisierungsforschung (Dürr, Strasser, Wiesner-Hanks, Zika).
Das Ziel der Kulturgeschichtsschreibung und damit auch der Publikation sollte es sein, so betonen die Herausgeberinnen, die Entstehung neuer Meisterzählungen zu verhindern. Auch wenn anzuerkennen ist, dass dies eine sehr kluge Perspektive sein kann, so bleibt die Skepsis, ob sich hinter dieser nicht wiederum eine neue Meistererzählung verbirgt. In den hier vorgelegten anregenden Beiträgen ist diese Thematik kaum hinreichend berücksichtigt worden, aber eine Grundlage ist formuliert.
Anmerkung:
[1] Lynn Hunt: Writing History in a Global Era, New York / London 2014, 39.
Luise Schorn-Schütte