Volker Leppin / Stefan Michels (Hgg.): Reformation als Transformation? Interdisziplinäre Zugänge zum Transformationsparadigma als historiographischer Beschreibungskategorie (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 126), Tübingen: Mohr Siebeck 2022, VIII + 285 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-16-161276-3, EUR 104,00
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Berndt Hamm / Volker Leppin / Gury Schneider-Ludorff (Hgg.): Media Salutis. Gnaden- und Heilsmedien in der abendländischen Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Volker Leppin / Ulrich A. Wien (Hgg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005
Wolfram Kinzig / Volker Leppin / Günther Wartenberg (Hgg.): Historiographie und Theologie. Kirchen- und Theologiegeschichte im Spannungsfeld von geschichtswissenschaftlicher Methode und theologischem Anspruch, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004
Alle historisch arbeitenden Wissenschaftler/innen, die die politische Wende von 1989/90 bewusst erlebt haben, kennen das in diesem Kontext auftauchende Transformationskonzept. Es war, wie Johannes Helmrath in seinem Beitrag zu diesem Sammelband sehr präzise artikuliert, die Politologie "die einzige Disziplin, die vor 20 Jahren über ein ausgearbeitetes Transformationskonzept verfügte. Hier wurden Begriff und Phänomen der Transformation in der suggestiven Situation des Jahres 1989 auf die [...] Umgestaltungsprozesse der ehemaligen Ostblockstaaten [...] angewendet" (91). Dazu gehörten deshalb zwei Aspekte, die in den späteren Debatten vielfach als kritisch betrachtet wurden: eine teleologische Zielsetzung der historischen Prozesse und die Annahme eines erfolgreichen Endes der Transformation.
Trotz dieser Zeitbindung hat Volker Leppin, Professor für Historische Theologie an der Yale Divinity School und einer der Herausgeber des hier anzuzeigenden Bandes, die große Tragfähigkeit des Konzeptes schon in früheren Publikationen betont, und zwar mit besonderem Blick auf die Reformation des 15./16. Jahrhunderts. Das Konzept Transformation wird deshalb als besonders geeignet angenommen, weil es einen "umfassenden kulturellen Wandlungsprozess umschreibt" und "ein Konzept zur Erklärung von Kontinuität und Wandel kultureller Formationen" sei (Transformation - Ein Modell zur Bestimmung von Kontinuität und Wandel, 43f.). Mit dieser bemerkenswerten Umbildung des Ansatzes von 1989/90 steht Leppin inmitten eines intensiven Deutungsstreits, der die Reformationsforschung weiterhin bewegt: Handelte es sich bei den Ereignissen um einen Bruch, eine Zäsur oder waren sie Teil einer Kontinuität theologischer Aufbrüche? Leppin pointiert sein Konzept nachdrücklich, indem er Transformation als Konfigurationsverschiebung charakterisiert, die Veränderungen der Kontinuität in jene selbst zu integrieren vermag. Damit ist nicht zuletzt der Verzicht auf Teleologie verbunden. Das Transformationskonzept erreiche es vielmehr, Entwicklungsmöglichkeiten in der Reformationszeit zu benennen und als grundsätzlich offene Prozesse zu verstehen (54, 56). Nicht nur die Festlegungen, die aus der Perspektive der Nachgeborenen als durchsetzungsstark anerkannt wurden, sollten die Deutung dominieren, sondern auch solche, die z.B. abgebrochen wurden. Leppin sieht darin - recht zugespitzt - das Ende einer Geschichtsschreibung "der Sieger" (57).
Grundlage der Publikation war die Absicht der Herausgeber (neben Leppin der Mainzer Kirchenhistoriker Stefan Michels), die sehr weitreichende Umbildung des ursprünglichen Transformationskonzeptes in der Diskussion mit systematischer Theologie (Ulrich H.J. Körner, "Siehe ich mache alles neu!" Reformation als eschatologisches Geschehen - jenseits von Reform und Transformation), Kultursoziologie (Jörn Ahrens, Transformation - Eine kultursoziologische Perspektive), Geschichtsschreibung des Christentums (Wolf-Friedrich Schäufele, Christentumsgeschichte als Transformationsgeschichte), Kirchengeschichtsschreibung der Neuzeit (Ute Gause, Transformation als "sanfte Signatur"? Eine Erörterung) und dem Konzept eines SFB (Johannes Helmrath, Das Berliner Konzept "Transformationen der Antike" - Kann es für die Reformationsforschung taugen?) zu erproben. Im zweiten Teil des Bandes werden diesem theoretischen Diskurs Konkretionen in einzelnen reformationshistorischen Arbeitsfeldern angeschlossen: Stadtreformation in Straßburg (Matthieu Arnold), Überlegungen zum Konzept von Ehe und Familie als Transformation (Inken Schmidt-Voges), kunsthistorische Analysen zur frühneuzeitlichen niederländischen Kunst (Anna Pawlak), zur musikhistorischen Tragfähigkeit des Transformationskonzeptes (Thomas Schipperges, Stefan Michels), zur literaturgeschichtlichen und zur sprachgeschichtlichen Variante als Erprobung des Konzepts (Friedrich Vollhardt, Jörg Robert). Dies alles ist ein faszinierendes Panorama, ein Einblick in die Werkstatt eines verwandelten Transformationskonzeptes, mit dessen Hilfe nicht zuletzt die Epochendebatte zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, so die Herausgeber, überwindbar erscheint.
Theorie- und Praxistest erweisen sich keineswegs als einhellige Zustimmung zum Konzept. Das kann hier nur an einigen Beispielen verdeutlicht werden. So gilt z.B. für die systematische Theologie das Konzept zunächst als Modebegriff, den es u.a. unter Berücksichtigung ontologischer Fragestellungen zu präzisieren gelte. Das skeptische Ergebnis ist, dass der Begriff keine einheitliche Bedeutung habe, vielmehr mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt sein könne, was als fehlende methodische Präzision zu bezeichnen sei (13). J. Helmrath weist in seiner dichten Auseinandersetzung auf Möglichkeiten der Verwendung ebenso hin wie auf eine grundsätzliche Abweichung vom ursprünglich politikwissenschaftlichen Konzept: ein Ende, ein Abschluss "der Reformationen" sei zeitlich wie inhaltlich kaum zu ermitteln (105).
M. Arnold betont in seinem Beitrag "Die Straßburger Reformation: Eine Transformation?", dass der Einsatz des Konzeptes zur Überwindung der fruchtlosen Alternative "Bruch" oder "Kontinuität" beitragen könne. Gerade aber das Beispiel vom Sprachgebrauch der Straßburger Prediger, für die Bucer darauf hingewiesen habe, nicht das Wort "neüerungen" zu gebrauchen, sondern "vil mer [von] widerbringen auff das recht, alt und ewig" zu sprechen (117), belegt, wie deutungsoffen ein stadtgeschichtlich zentrales Argument sein konnte: mit dem Hinweis auf das Alte Recht war eine Legitimation für aktuelle Veränderung durch Tradition gegeben!
Inken Schmidt-Voges hat diese quellennahe Argumentation in ihrem Beitrag "Reform(ation) in der Transformation. Ehe, Haus und Familie vom 15. bis ins 17. Jahrhundert" weitergeführt. Sie versucht eine Zusammenschau der langfristigen Aspekte von Ehe, Haus und Familie mit der Verortung lokaler Ereignisse, "die in der Entwicklung gewissermaßen einen 'point of no return' darstellen", die als solche u.a. auch von den Zeitgenossen wahrgenommen werden konnten (133). Ihre hier kurz gefasste These lautet, dass die langlaufenden inhaltlichen Positionen zu Ehe und Familie seit dem 15. Jahrhundert unter den Reformatoren fest verankert waren, sich aber durch die politischen Ereignisse etwa um 1520 kurzfristig ein rechtlich-politischer Handlungsraum eröffnet zu haben scheint. Diese Zäsur wurde von den Zeitgenossen unabhängig von ihrer Einbindung in die langen Traditionen als "Bruch" gegenüber dem Gewesenen wahrgenommen. Derartige Zeitfenster lassen sich als Kipppunkte charakterisieren. In der medialen Präsenz u.a. des Reizthemas "Priesterehe" konnten kurzzeitig Alternativmodelle wahrgenommen werden (144).
Die hier skizzierten Einwände und Bedenken ließen sich natürlich durch positive Rezeptionen in anderen Beiträgen relativieren. Um das "Rechthaben" geht es keinem der Beiträger des Bandes. Mit Hilfe eines interdisziplinären Blickes wird die Plausibilität des umformulierten Transformationskonzeptes sichtbarer, die Debatte darüber sollte und wird weiter gehen.
Luise Schorn-Schütte