Jussi M. Hanhimäki: Pax Transatlantica. America and Europe in the Post-cold War Era, Oxford: Oxford University Press 2021, XVIII + 176 S., ISBN 978-0-1909-2216-0, GBP 22,99
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Allein ein kursorischer Blick auf diverse Meinungsbeiträge der vergangenen Jahre zu den transatlantischen Beziehungen deutet auf eine Hochkonjunktur der Krisendiagnostik hin. Trump, Covid, der unter Biden eingeleitete CHIPS-Act oder das Ringen um die Lieferung deutscher Panzer an die Ukraine wurden nicht selten zum Anlass genommen, einen Schwanengesang auf die Beziehungen zwischen den USA und Europa anzustimmen. In seinem 2021 erschienen Werk "Pax Transatlantica" tritt der finnische Historiker Jussi M. Hanhimäki dieser pessimistischen Sichtweise entgegen und zeigt auf, wie immer wiederkehrende Spannungen und Differenzen fester Bestandteil eines gemeinsamen und stabilen transatlantischen Raums sind, der von wirtschaftlicher Interdependenz, einer gemeinsamen politischen Kultur sowie konvergierenden Sicherheitsinteressen geprägt ist.
Das Hauptargument des Buches besteht darin, dass dieser transatlantische Raum in der Nachkriegszeit und im Kontext des Kalten Kriegs entlang der Dimensionen Wirtschaft, Sicherheit und Innenpolitik entstanden ist und einen stabilen Bezugsrahmen für die transatlantischen Beziehungen der vergangenen drei Dekaden darstellt. Dieser gemeinsame Wirtschafts- und Sicherheitsraum wiederum ist Grundlage dessen, was Hanhimäki als "Pax Transatlantica" bezeichnet (8). Neben die Dimensionen Sicherheit und Wirtschaft tritt die Innenpolitik in Europa und den USA als interpretatorischer Rahmen. Die Struktur des Buchs ist von diesem triadischen analytischen Ansatz bestimmt, sodass jedes Hauptkapitel chronologisch die Entwicklung einer dieser Dimensionen nachzeichnet. Die Originalität von Hanhimäkis Darstellung lässt sich dabei weniger auf neu erschlossene oder bisher unberücksichtigte Quellen zurückführen, sondern ist vielmehr durch den analytischen Zugriff bedingt, durch den bekannte Ereignisse und Entwicklungen in einen neuen interpretatorischen Zusammenhang gestellt werden.
Auch wenn Hanhimäki den Schwerpunkt des Buches auf die transatlantischen Beziehungen in den vergangenen drei Jahrzehnten legt, setzt das Buch mit einer konzisen Darstellung der Beziehungen zwischen den USA und Westeuropa während des Kalten Kriegs an. Der Autor entwickelt dabei die These, die von nun an als Leitmotiv des Werks fungiert: "[T]he key to the success of the West in the Cold War was its ability to remain united while being perpetually divided" (15). Dissens und Konflikte sind für den Autor fester Bestandteil der transatlantischen Beziehungen, die aber innerhalb eines stabilen, von Kooperation geprägten transatlantischen Raums ausgehandelt und gelöst wurden. Hanhimäki skizziert die Genese dieses Raums knapp und handelt dabei elegant die Entstehung des europäischen Sicherheitssystems um die NATO und die Entwicklung des Bretton-Woods-Systems ab. Als Ergebnis hätten zum Ende des Kalten Kriegs die NATO als fester Bestandteil der transatlantischen Sicherheit und gemäßigte wohlfahrtskapitalistische Systeme innerhalb des transatlantischen Raums gestanden.
Von dieser historischen Grundlegung ausgehend, widmet Hanhimäki die folgenden Kapitel der Entwicklung der transatlantischen Beziehungen nach dem Kalten Krieg. Im Bereich der Sicherheit identifiziert der Autor als entscheidenden Faktor das Fortbestehen der NATO, die sich gegenüber anderen Alternativen durchsetzen und sich an die veränderte Sicherheitsumgebung anpassen konnte. Die hierfür dominierenden Faktoren in Form der Osterweiterung und von Out-of-area-Einsätzen werden dabei geschickt in ein konzises Narrativ eingewoben, das den Jugoslawienkrieg ebenso verhandelt wie die amerikanischen Kriege als Reaktion auf die Terroranschläge am 11. September 2001 und die wachsenden Spannungen mit Russland. Im Kern ist Hanhimäkis Analyse, wie die NATO sich als sicherheitspolitische Institution nach dem Kalten Krieg durchsetzen konnte, wenig originell, doch gelingt es ihm durch diesen knappen Abriss überzeugend aufzuzeigen, dass "the pattern of disagreement and reconciliation has strengthened Pax Transatlantica, the transatlantic security space anchored in NATO" (68).
Mit Blick auf die ökonomische Dimension des transatlantischen Raums zeigt Hanhimäki, dass die beiden Seiten des Atlantiks in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmend wirtschaftlich integriert sind. Die gestiegene Interdependenz und Konnektivität in Form von Im- und Exporten sowie Direktinvestitionen habe jedoch auch höheres Konfliktpotential mit sich gezogen. Dabei wird die Finanzkrise 2008 als Beleg für diese Interdependenz keineswegs affirmativ hervorgehoben, sondern auch mit kritischem Unterton gegenüber den Auswüchsen des globalen Finanzkapitalismus analysiert. Nach einer knappen Darstellung der globalen Ausweitung der Bretton-Woods-Institutionen nach Ende des Kalten Kriegs steht Hanhimäkis These, dass die "transatlantic economy remains the cockpit of the global economy" (70).
Zuletzt widmet sich Hanhimäki der innenpolitischen Dimension der transatlantischen Beziehungen, indem er durch die Analyse des Wahlverhaltens Parallelen zwischen den jeweiligen politischen Kulturen auf beiden Seiten des Atlantiks aufzeigt. So sei das zentristische Programm links der Mitte, verkörpert von Bill Clinton und New Labour in Europa, durch einen moderaten Konservatismus in Form von Bush, Merkel und Cameron in den 2000er Jahren abgelöst worden. Auch in dem Aufstieg von Donald Trump und anderen populistischen Strömungen in Europa in den 2010er Jahren sieht Hanhimäki den Beweis für die "existence of a de facto transatlantic political community", in der "shared ideas, emanating from shared challenges, have produced similar responses" (125). Diese Argumentation überzeugt jedoch nur wenig, da sie globale Formen des Populismus, beispielsweise in Südamerika oder Südostasien, ausklammert. Hanhimäkis Behandlung des Populismus - charakterisiert als Reaktion auf die Finanz-, Euro- und Flüchtlingskrise in Ablehnung von Globalisierung und Multikulturalismus - wird damit zur großen Schwachstelle des Werks. Der Autor bewertet den Aufstieg des Populismus als relativ positiv, da mit diesem auch die Stimulation von Partizipation und Diskussion in einer demokratischen Öffentlichkeit einhergehe. Mit Blick auf die Entwicklung des Trumpismus in den USA oder den illiberalen Tendenzen populistischer Regierungen in der EU wirkt jedoch die entgegengesetzte Lesart des Populismus als anti-demokratisches Phänomen, die beispielsweise von Jan-Werner Müller vertreten wird, überzeugender. [1]
Abgerundet wird die triadische Analyse durch eine Betrachtung der Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die transatlantischen Beziehungen. Auch hier konstatiert der Autor Konflikte und Meinungsverschiedenheiten, betont aber, dass durch die Pandemie das Bestehen eines transatlantischen Raums entlang der Dimensionen Wirtschaft, Sicherheit und politischer Kultur nicht nachhaltig in Frage gestellt worden sei.
Auch wenn der Titel und eine oberflächliche Lektüre es vermuten lassen würden, legt Hanhimäki mit "Pax Transatlantica" keine naive Apologie der transatlantischen Beziehungen vor. Trotz einiger Schwachstellen bietet das Werk eine nüchterne und nuancierte Analyse, die ein gelungenes Korrektiv zum häufig angestimmten Abgesang auf die transatlantische Partnerschaft darstellt und dessen Thesen gerade im Lichte der Reaktion auf Russlands Invasion der Ukraine an Relevanz gewonnen haben.
Anmerkung:
[1] Jan-Werner Müller: What is Populism? Philadelphia 2016.
Lukas Baake