Rezension über:

Jonathan Huener: The Polish Catholic Church under German Occupation. The Reichsgau Wartheland 1939-1945, Bloomington, IN: Indiana University Press 2021, XVII + 352 S., ISBN 978-0-253-05402-9, EUR 47,00
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Rezension von:
Christoph Schutte
Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Paul Blickle
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Schutte: Rezension von: Jonathan Huener: The Polish Catholic Church under German Occupation. The Reichsgau Wartheland 1939-1945, Bloomington, IN: Indiana University Press 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/38437.html


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Jonathan Huener: The Polish Catholic Church under German Occupation

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Der an der University of Vermont lehrende Jonathan Huener befasst sich in der vorliegenden Studie mit einem Thema, das in seinen Grundzügen als bereits recht gut erforscht gelten kann. In seiner Einleitung vertritt der Verfasser allerdings die Ansicht, dass die Kirchenpolitik im Reichsgau Wartheland (RW) bislang eher in Form von Lokalstudien oder als Fallbeispiel im Rahmen von Arbeiten mit überregionalem Fokus behandelt worden sei. Als weitere Motivation für seine Beschäftigung mit diesem Thema gibt er an, dass noch keine detaillierte Untersuchung in englischer Sprache vorliege.

Ausgehend von der ausführlich rezipierten Forschungsliteratur und unter Einbeziehung zahlreicher Archivbestände in Polen und Deutschland sieht es Huener als erforderlich an, die Politik gegenüber der polnischen Katholischen Kirche im RW auf mehreren unterschiedlichen Ebenen zu betrachten: erstens als ein, im europaweiten Vergleich, besonders brutales Vorgehen, da die deutschen Besatzer die Katholische Kirche als Keimzelle polnischen Widerstands im RW einschätzten und das Ausüben des Glaubens auf eine strikt privat zu behandelnde Angelegenheit reduzierten; zweitens als ein Experimentierfeld zukünftiger deutscher Kirchenpolitik, als das der von den Besatzern so titulierte "Mustergau" (model Gau bei Huener) RW dienen sollte; drittens in Hinblick sowohl auf die Reaktionen seitens des Vatikans als auch auf die an den Vatikan gerichteten Appelle und Berichte des drangsalierten polnischen Klerus im RW, da die entsprechenden Archivbestände bislang nicht ausreichend gewürdigt worden seien (und für die, so merkt der Verfasser an, in den 2020 freigegebenen Aktenbeständen zum Pontifikat Pius' XII. zukünftig weitere neue Erkenntnisse zu erwarten seien).

Huener folgt diesen Fragekomplexen in 18 Kapiteln von jeweils ähnlichem, also eher kurzem Umfang, ohne weitere Einteilung in Unterkapitel. Indem er auf diese Weise "an informative and simultaneously energetic narrative" (9) bieten möchte, wendet er sich - ohne dass sich das Buch als populärwissenschaftlich bezeichnen ließe - an einen eher breiten Leserkreis. Nacheinander widmet sich die Darstellung dem deutschen Einmarsch im September 1939; den ideologischen Grundlagen der Besatzungspolitik im RW; den Repressionsmaßnahmen, Inhaftierungen und Liquidierungen des polnischen katholischen Klerus (wobei der Verfasser insbesondere auf die wichtige Rolle des KZ Dachau eingeht); der strikt überwachten Trennung von deutschen und polnischen Katholiken; der nochmaligen Verschärfung der anti-katholischen Maßnahmen 1940/41, die dann seit Ende 1942 keine weitere Zuspitzung mehr erfuhr; den damit einhergehenden Plünderungen und Enteignungen kirchlichen Besitzes; dem Vorgehen seitens des Vatikans, insbesondere Papst Pius' XII.; schließlich vereinzelten Lockerungen der Maßnahmen angesichts der drohenden militärischen Niederlage des Deutschen Reiches.

Die Darstellung ist durch die umfangreiche Heranziehung von Sekundärliteratur in Kombination mit ergänzenden Archivfunden stets anschaulich, ohne dabei oberflächlich zu wirken. Rund zwei Dutzend Fotografien, die Gebäude, Aktionen und Personen zeigen und den Text in sinnvoller Weise ergänzen, befördern den generellen Eindruck, dass sich die Studie nicht nur an ein präzise vorgebildetes Fachpublikum richtet; Gleiches gilt für die nicht wenigen Querverweise im Text zu vorangegangenen oder noch folgenden Kapiteln beziehungsweise Textpassagen.

Nicht ganz so leicht entschlüsseln lässt sich hingegen, welche wirklich neuen Erkenntnisse und Bewertungen Huener mit seinen Forschungen präsentieren kann. Eine griffige Ausgangsthese fehlt. Geleitet wird die Untersuchung von der Prämisse, dass die hier behandelte Kirchenpolitik von mehreren unterschiedlichen Faktoren und Interessen beeinflusst worden sei: der anti-christlichen Ideologie des Nationalsozialismus; dem Kampf gegen den polnischen Katholizismus; den spezifischen Bedingungen im RW. Dass die Innen- wie auch die Außenpolitik NS-Deutschlands keineswegs monolithisch und frei von inneren Widersprüchen gestaltet wurde, ist bekannt. Huener führt dies beispielhaft an den Auseinandersetzungen zwischen Reichsstatthalter Arthur Greiser und dem Reichskirchenministerium über die angemessene Reglementierung der Katholischen Kirche vor - obwohl er sich ja laut Einleitung, wie erwähnt, gerade von dieser Art der Darstellung abheben möchte. Doch zugleich lässt die vom Verfasser immer wieder vorgenommene Einordnung der geschilderten Vorgänge in den größeren Kontext der NS-Politik einzelne Spezifika des RW klar hervortreten. So setzte Greiser kirchenpolitische Maßnahmen um ein Vielfaches schneller um als die Behörden auf Reichsebene nach 1933 (70-71).

Zu konstatieren ist aber auch: Die Tatsache, dass die Leitfrage eher im Ungefähren bleibt, scheint im Fazit deutlich durch. Dass sich das Scheitern der NS-Kirchenpolitik im RW insbesondere daran zeige, dass keine dieser Maßnahmen im "Altreich" übernommen wurde und dass es nach Kriegsende weiterhin eine polnische Katholische Kirche gab, wirkt als Ausklang der Studie allzu generell (312-313).

Letztlich hat Huener eine fundierte Darstellung zu den Terror- und Unterdrückungsmaßnahmen gegen polnische Geistliche und Gläubige vorgelegt, die den Forschungsstand um anschauliches Quellenmaterial ergänzt und die Vielzahl der Repressionsmaßnahmen identifiziert sowie in ihren jeweiligen Ausprägungen voneinander abgrenzt. Wirklich neue, übergreifende Erkenntnisse lassen sich daraus aber nicht ableiten - womöglich finden sich solche Entdeckungen tatsächlich erst in den jüngst freigegebenen Materialien in den Archiven des Vatikans.

Christoph Schutte