Jörg Hackmann / Marta Kopij-Weiß: Nationen in Kontakt und Konflikt. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1806-1918 (= WBG Deutsch-Polnische Geschichte; Bd. 3), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014, 223 S., ISBN 978-3-534-24764-6, EUR 39,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Von der auf fünf Bände angelegten Deutsch-Polnischen Geschichte der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft liegt nach dem zum Auftakt erschienenen Band 2 zur Frühen Neuzeit [1] nun Band 3 vor, der sich mit dem 19. Jahrhundert einschließlich des Ersten Weltkriegs beschäftigt. Der von Jörg Hackmann und Marta Kopij-Weiß verfasste Teilband beruht auf derselben Grundstruktur wie Teilband 2: Auf eine kurze Einführung, die sich im Falle des vorliegenden Werkes im Wesentlichen mit den Kategorien "Raum", "Grenzen" und "Menschen" auseinandersetzt, folgen zwei in etwa gleich lange Hauptabschnitte: Während zunächst in einem "Überblick" chronologisch die wichtigsten Ereignisse und Akteure behandelt werden, kommen anschließend in "Fragen und Perspektiven" übergreifende Problemfelder zur Sprache. Dies führt dazu, dass eng miteinander verknüpfte Phänomene wie "Germanisierung" und "Polonisierung" in unterschiedlichen Abschnitten behandelt werden (61 f., 120 f.) Zugleich ist die Darstellung aber spürbar geprägt von dem Bestreben, nicht so sehr Fakten und Daten, sondern vielmehr Zusammenhänge und Konfliktkonstellationen aufzuzeigen - nur ganz selten verliert sich die Darstellung ein wenig in Details (Vergleiche zum Beispiel auf Seite 197 die Bemerkung zur Freiwilligen Feuerwehr in Lodz). In den Fließtext eingefügte Seitenangaben erleichtern das Verständnis, indem sie von einzelnen Ereignissen auf dazugehörige Aspekte beziehungsweise tiefer gehende Erörterungen an anderer Stelle im Text verweisen - sowohl innerhalb der beiden Hauptabschnitte als auch abschnittsübergreifend.
Schon diese formalen Besonderheiten lassen erkennen, dass sich das Werk - dem Verlagsprofil entsprechend - an einen breiteren Leserkreis richtet. Folgerichtig beginnen Hackmann und Kopij-Weiß ihre Darstellung mit einer geradezu klassischen Episode der neuzeitlichen deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte: Auf die Affäre um einen als Wohnsitz genutzten Zirkuswagen, mit dessen Nutzung der Bauer Michał Drzymała dagegen protestierte, dass er aufgrund des Feuerstättengesetzes von 1904 auf einer neu erworbenen Parzelle kein Wohnhaus errichten durfte, wird in der Historiografie immer wieder gern Bezug genommen. An ihr lässt sich gerade auch für Nicht-Fachleute beispielhaft ablesen, wie schwer sich die preußische Bürokratie damit tat, gegen den wachsenden, immer vielfältiger ausgestalteten Widerstand der polnischen Bevölkerung die östlichen Provinzen in sprachlicher, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht deutsch zu prägen. Aber die beiden Verfasser sind natürlich weit davon entfernt, sich auf solche konfrontativen Ereignisse zu beschränken. In ihrem Verständnis lassen sich die deutsch-polnischen Verflechtungen "als 'geteilter Raum' im doppelten Wortsinn beschreiben" (9) - zum einen geteilt voneinander durch zwei "sich zunehmend national verfestigte Gesellschaften" (9), zum anderen miteinander geteilt durch gemeinsame Lernprozesse und sonstige Entwicklungen, die nach wie vor gern unter dem Begriff "Akkulturation" zusammengefasst werden. Die Verfasser messen politischen Grenzen, die ja nicht ohne Grund auch als Versinnbildlichung deutsch-polnischer Spannungen herangezogen werden könnten, keine allzu große Bedeutung bei. Sie seien in der Teilungszeit durchlässig gewesen, und zwar nicht nur für Bevölkerungsgruppen, sondern auch für Ideen.
Diese Gewichtung ist nicht unbedingt selbstverständlich, wenn man die langfristige Entwicklung auf staatlicher beziehungsweise politischer Ebene in den Blick nimmt. Die 1820er Jahre waren bezüglich der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen noch von einer abwartenden, von einem gewissen Respekt geprägten gegenseitigen Einschätzung gekennzeichnet gewesen, nachdem sich die aus dem Wiener Kongress ergebende gesellschaftliche Ordnung etabliert hatte. In den 1830er Jahren rückte nach dem gescheiterten Novemberaufstand wieder das Streben nach einer polnischen Nation in den Vordergrund, was über staatliche Maßnahmen, die dieses Bestreben unterbinden sollten, zwangsläufig auch gesellschaftliche Spannungen befördern musste. In der sogenannten "Polendebatte" in der Frankfurter Paulskirche im Juli 1848 erkennen Hackmann und Kopij-Weiß dann den zentralen Wendepunkt in den deutsch-polnischen Beziehungen des 19. Jahrhunderts, da sich hierdurch "ein fundamentaler Wandel nicht nur im Diskurs über die deutsche Nation, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit vollzogen habe" (52). Die vormärzliche Solidarität zwischen deutscher und polnischer Nationalbewegung, so die Verfasser, sei nun unwiderruflich dahin gewesen. Zum Ende des Betrachtungszeitraums, in den revolutionären Wirren 1918/19, waren praktisch alle deutschen Parteien dem neuen polnischen Staat gegenüber ablehnend bis feindlich eingestellt. Gemeinsame Bezugspunkte deutscher und polnischer Akteure erkennen die Verfasser gerade auch im Bereich der Literatur, auf die recht ausführlich Bezug genommen wird (Kopij-Weiß ist insbesondere als Literaturhistorikerin hervorgetreten).
Insgesamt gesehen ist eine konzise, eindeutig (und zwar nicht nur aufgrund ihrer Sprache) auf die Bedürfnisse einer deutschen Leserschaft hin ausgerichtete Darstellung entstanden. Deutsch-polnische Geschichte findet hier ganz überwiegend auf polnischem Territorium und vor dem Hintergrund der Geschichte Polens statt; wohl nicht zufällig dominieren auf dem Cover die Farben Rot und Weiß. Polnischsprachige Literatur ist in der Bibliografie nur ganz vereinzelt und in den Fußnoten nur gelegentlich vertreten, was natürlich dem Reihenkonzept geschuldet ist - reizvoll wäre insofern der Gedanke einer Historia polsko-niemiecka mit schwarz-rot-goldenem Einband, die einer breiten polnischen Leserschaft die Beziehungsgeschichte in Abhängigkeit von der deutschen Geschichte erläutern würde. Einige wenige kleinformatige Abbildungen sowie zwei Landkarten auf den Umschlaginnenseiten ergänzen die Darstellung, sodass ein kompakter, handlicher Band entstanden ist, der die deutsch-polnische Geschichte des 19. Jahrhunderts (man könnte ergänzen: unter besonderer Berücksichtigung der polnischen Geschichte) souverän analysiert.
Anmerkung:
[1] Hans-Jürgen Bömelburg, Edmund Kizik: Altes Reich und alte Republik: Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500-1806, Darmstadt 2014.
Christoph Schutte