Andreas Tacke (Hg.): "Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürnberg". Die Nürnberger Maler(zunft)bücher ergänzt durch weitere Quellen, Genealogien und Viten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, 761 S., 127 Abb., ISBN 978-3-422-06343-3, EUR 155,00
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Das 17. Jahrhundert galt und gilt in den Niederlanden als das 'Goldene Zeitalter', in Deutschland indes als die "trübe Zeit des Niedergangs deutscher Kunst" (13). Vergleichsweise gering war denn auch das kunsthistorische Interesse an der Generation nach den Altmeistern der Dürerzeit und an Fragen des Kunstmarktes, der Werkstätten, der Sammler jener Zeit. Wie die Aufgaben einer solchen Forschung aussehen könnten, hat Andreas Tacke bereits 1997 in der Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaften umrissen, das nun 2002 erschienene Buch über 'Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürnberg' ist nicht weniger als ein Grundlagenwerk zum Nürnberger Barock.
Kernstück der Arbeit sind die Aufzeichnungen des Nürnberger Flach- und Ätzmalers Johann Hauer (1586-1660), Andreas Tacke stellt ihn in eine Reihe mit dem berühmten Maler, Kupferstecher und Schriftsteller Joachim von Sandrart (1606-1688). Sie enthalten eine kompilierte Abschrift der verschollenen, wahrscheinlich untergegangenen Nürnberger Malerzunftbücher, ergänzt und erweitert durch eigene Berichte "zur eigenen Erinnerung und Verwendung" (19). Der Edition dieser Quelle nebst fünf kleineren Schriftstücken - bearbeitet von Heidrun Ludwig, Andreas Tacke und Ursula Timann in Zusammenarbeit mit Klaus Freiherr von Andrian-Werburg und Wiltrud Fischer-Pace - folgt eine vorbildliche Dokumentation der Viten aller genannten Künstler, es sind etwa 360, allein auf der Grundlage des biografischen Materials in den Nürnberger Archiven, bewusst ohne Rückgriff auf die Sekundärliteratur. Friedrich von Hagen leistete diese Kernarbeit und eröffnete überdies mit der Zusammenstellung von insgesamt 93 genealogischen Tafeln einen Blick auf die Verknüpfung der Nürnberger Künstler untereinander. Das abschließende Register mit seinen über 3.200 Namensnennungen ermöglicht den raschen Zugriff auf alle in den Viten und im einleitenden Aufsatz von Andreas Tacke aufgeführten Personen. Dies macht es in der Tat zu einem 'Standardnachschlagewerk der Nürnberger Barockkunst' (8).
Wenn der Schutzumschlag des Buches damit wirbt, dass diese Quelle hier erstmals publiziert werde, und auch im Vorwort von "hier zum ersten Mal edierten Quellen" (7) die Rede ist, so stellt der Einleitungsaufsatz von Andreas Tacke doch klar, dass Hans Bösch schon 1899 die Hauersche Handschrift einer ausführlichen Auswertung unterzog und in den Mitteilungen des Germanischen Nationalmuseums publizierte. Trotz zahlreicher Lesefehler und Auslassungen bleibe ihm daher "das unbestrittene Verdienst, durch seine Quellenkompilierung das Fundament für die weitere Forschung zur Nürnberger Barockmalerei gelegt zu haben, auf das auch die Autoren des Künstlerlexikons Thieme/Becker immer wieder zurückgreifen konnten" (20).
Wer war nun dieser Johann Hauer, der neben Sandrart zu den wichtigsten Künstlern des Nürnberger Barocks gehörte - den aber kaum jemand kennt? Dieser Frage geht Andreas Tacke in seiner Einleitung nach, eine luzide, in sich abgeschlossene kulturgeschichtliche Studie, in der er auf 130 Seiten Leben und Werk Hauers würdigt, den Weg zum Verständnis der hier edierten Quellen aufzeigt und das alltagsgeschichtlich geprägte Umfeld des Künstlers beleuchtet (7).
Hauer wurde 1586 in Nürnberg geboren, ging 1599 beim Maler und Radierer Peter Hochheimer (um 1562-1608) in die Lehre, heiratete 1610 Susanna Emmerling, eine Urenkelin des Goldschmieds Wenzel Jamnitzer (1508-1585), und fertigte 1612 sein Probstück, einen geätzten Harnisch, mit dem er am 12. Januar 1613 zum Meister gesprochen wurde. Dieses Probstück ist heute auf Schloss Ambras ausgestellt, für die Dekoration nutzte er druckgrafische Vorlagen. Schon vor seiner Meistersprechung - und damit gegen das Handwerksrecht - nahm er 1611 den ersten Lehrjungen an, der ihn aber noch im gleichen Jahr wie es heißt "wegen seines plöden Gesichts" (32) verlässt und zum Flachmaler Gabriel Weyer wechselt. Hauer gab auch Unterricht im Zeichnen. 1622 wurde er zu einem der vier Vorgeher des Flach- und Ätzmalerhandwerks gewählt, vielleicht war dies auch der Anlass für die Anfertigung des Manuskripts. In jedem Fall ermöglichte ihm diese Stellung den Zugang zu den Nürnberger Maler(zunft)büchern, die in der Regel in so genannten Zunftladen, abschließbaren, kunstvoll gefertigten Kästen, bewahrt wurden.
Zum Terminus 'Maler(zunft)bücher': Mit dem optischen und orthografischen Ungetüm der internen Ausklammerung im Terminus "Maler(zunft)bücher" will man dem besonderen Umstand Rechnung tragen, dass Nürnberg nur zunftähnliche Ordnungen kannte, aber keine Zünfte. 1349 hatte Karl IV. ein regelrechtes Zunftverbot verfügt, das bis zum Ende des Alten Reiches gültig bleiben sollte. Die Handwerker waren einem so genannten Rugamt (von: rügen, also anzeigen, anklagen) unterstellt und damit vollständig unter der Kontrolle des herrschenden Patriziats. Vor dem Rugamt klagten auch einige Flachmaler gegen Hauer, die ihm das Anfertigen von Gemälden untersagen wollten, da er nur als Ätzmaler sein Probstück abgeliefert habe, eben jenen geätzten Harnisch, nicht aber ein Gemälde. Die Bestimmungen der Ordnung scheinen in diesem Fall nicht eindeutig gewesen zu sein. Das Rugamt jedenfalls drehte den Spieß einfach um und untersagte den Flachmalern ihrerseits nun das Ätzen und damit die Anfertigung von Druckgrafiken, was auf deren entschiedenen Widerstand stieß. Am Ende dieses Rechtsstreits blieb für Hauer alles beim alten.
Und damit auch für sein florierendes Geschäft mit gemalten Kopien nach anderen Meistern, auf das seine Werkstatt spezialisiert war und dessen Erfolg ihm seine Nürnberger Malerkollegen neideten. Hauer kaufte "vornehme gemahlte Kunststückh" (47) in Frankfurt und anderen Orten, oder erwarb solche aus den Niederlanden und ließ diese von einem Gesellen kopieren, den er "einig und allein zue diesem Endte gehalten". Namentlich bekannt ist nur einer, der Wandergeselle Rudolf Meyer aus Zürich. Von Johann Hauer selbst ist kein Gemälde bekannt. Doch wissen wir aus den schriftlichen Quellen, dass er für seine Arbeiten eine Camera obscura zu Hilfe nahm und zu diesem Zweck in den Jahren 1612/13 einen an der Universität ausgebildeten Mathematiker beschäftigte, den Magister Lucas Brunn.
Von diesem Brunn ist ein Brief vom 4. Juni 1613 aus Nürnberg an Johannes Kepler überliefert, der nach Johann Gabriel Doppelmayr (1730), der erste war, "der die eigentliche Beschaffenheit des Sehens aus dem Fundament der Camerae obscurae erwiese" (55). Und über Hauer heißt es: "Er war auch sonten noch in andern Wissenschafften, vornemlich aber um optische Gläser zu schleiffen, wohl geübt, davon er die mehreste zur Beförderung der Zeichen= und Mahler=Kunst trefflich zu gebrauchen wusste, indem er mit Zuziehung derselbigen allerhand Cameras obscuras anrichtete, und darinnen viele ausserliche Objecta, zum Exempel einen grosen Theil von den Gebäuen der Stadt, diese und jene Personen, da er alles auf ein weises Excipiens projicirte, so wohl, wie ordentlich, umgewandt, als auch bey einem weitern Vortheil, aufrecht mit ihren rechten Farben vor Augen stellte, wornach er das verlangte gar leicht und nett nachzuzeichnen und zu contrefaiten vermogte, dieser Methode gemäs hat er das perspectivische Zeichnen und Mahlen seinen Untergebenen mit grosen Nutzen beygebracht". (56f.)
Im Anschluss erstellt Andreas Tacke ein Werkverzeichnis von Johann Hauer: seine verschiedenen Vorlagen für Medaillen und Münzen, seine Ätz- und Gravierarbeiten für Goldschmiede, die Druckgrafik und die Titeleinfassungen für die Buchdrucker. Auch als Verleger und Kunsthändler ist Hauer tätig und nicht zuletzt als Dürerforscher: von seinen Abschriften der 'Familienchronik' und des 'Tagebuches der Niederländischen Reise' machte er vielfach Gebrauch, so auch bei seinem oben beschriebenen Rechtsstreit mit den Nürnberger Flachmalern.
Aus all dem tritt uns Johann Hauer als ein vielseitiger und sehr erfolgreicher Künstler entgegen, dessen Werk es zwar nicht bis in die erste Reihe der Kunstgeschichte geschafft hat, aber dessen Vita - besser: Tackes fesselnde Darstellung seines Lebens - die Alltagsgeschichte eines frühneuzeitlichen Künstlers erhellt und Fragen des Kunstmarktes, der Werkstätten und Sammler jener Zeit beantworten hilft. Mit dem vorliegenden Buch ist der Weg gewiesen für eine Kunst- und Sozialgeschichte des Nürnberger Barock.
Leonhard Helten