Rezension über:

Detlef Siegfried: Der Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934 (= Historisches Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Reihe: Politik- und Gesellschaftsgeschichte; Bd. 58), Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2001, 335 S., ISBN 978-3-8012-4118-6, EUR 29,70
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Rezension von:
Michael C. Schneider
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Rüdiger Graf
Empfohlene Zitierweise:
Michael C. Schneider: Rezension von: Detlef Siegfried: Der Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/1465.html


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Detlef Siegfried: Der Fliegerblick

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In der mit dem Ersten Weltkrieg nachhaltig an Auftrieb gewinnenden Hochtechnologie des motorisierten Fliegens verdichteten sich - dies zu zeigen ist das Anliegen des Buches - gleichermaßen technische und gesellschaftspolitische Utopien. Um dem genauer nachspüren zu können, wählt der Autor einen biografischen Ansatz und untersucht verschiedene Akteure, bei denen er diese Verdichtung am ehesten manifestiert sieht. Er konzentriert sich auf drei Personen, die in dem in seiner Bedeutung herausragenden Flugzeugunternehmen Junkers am Ende der Weimarer Republik zeitweise mehr oder weniger einflussreiche Positionen einnahmen: Adolf Dethmann, Peter Drömmer und Richard Blunck. Dabei liegt mit Adolf Dethmann ein Schwerpunkt auf jenem Manager, der seit 1931 als Direktor der Junkers Flugzeugwerk AG den ins Trudeln geratenen Konzern wieder auf Konsolidierungskurs brachte. Die Studie lenkt die Aufmerksamkeit damit auf einen bislang nur wenig beleuchteten Personenkreis. Die im Zusammenhang mit der Enteignung des Junkers-Konzerns durch die Nationalsozialisten getroffene Feststellung, wonach über das Verhältnis von NS-Regime und Wirtschaft im Falle von Junkers "bislang wenig bekannt" sei (12), wirkt angesichts des seit 1998 vorliegenden Standardwerkes von Lutz Budraß zur deutschen Flugzeugindustrie zwischen 1918 und 1945 übertrieben pessimistisch.

Zweifellos ist die Beobachtung faszinierend, dass mit Dethmann ein Manager an die Spitze der Junkers Flugzeugwerk AG gelangte, der noch zu Beginn der Weimarer Republik führend in der 1920 gegründeten Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), einer linksradikalen Abspaltung der KPD, aktiv war. Freilich lag im politischen Linksradikalismus nur ein Ausgangspunkt dieser Biografie: Hinzu kam bei Dethmann, Drömmer und Blunck die Spätphase des Expressionismus und seiner Kieler Ausprägungen. Die wechselseitigen und weiteren Bekanntschaften dieser Personen werden im zweiten Hauptkapitel (nach einer knapp gehaltenen biografischen Einführung) detailliert nachgezeichnet, ohne dass aus diesem Kapitel schon deutlich würde, worin der Zusammenhang dieser Ausprägungen des Expressionismus zum motorisierten Fliegen bestand, sieht man einmal von der in diese Zeit fallenden Bekanntschaft Drömmers mit der ältesten Tochter von Hugo Junkers ab. Und auch die Relevanz der detaillierten Schilderung der Gründungsgeschichte der KAPD für die spätere Tätigkeit Dethmanns bei Junkers hat sich dem Rezensenten nicht erschlossen. Erst im dritten, nur acht Seiten umfassenden Hauptkapitel, das die "Neuorientierung" der Protagonisten und ihre Bereitschaft beschreibt, über eine Tätigkeit in der Industrie Anliegen des Expressionismus zu verwirklichen, blitzt die dem Buch zugrunde liegende Vermutung auf, wonach Dethmanns "politische Erfahrungen von elementarer Bedeutung" für seine Tätigkeit bei Junkers gewesen seien (75), ohne dass diese Vermutung präzisiert oder gar in eine erkenntnisleitende Fragestellung transformiert würde. Unklar bleibt zudem der Weg, der Dethmann 1927 in die Position eines Privatsekretärs von Hugo Junkers führte und auch, weshalb Dethmann angesichts der unbestrittenen "politische[n] Symbolkraft" (77) des Flugzeugs für die Bearbeitung dieses Produkts "geradezu prädestiniert" (77) gewesen sein soll. Peter Drömmer gelang der Einstieg bei Junkers als künstlerischer Berater und er brachte später auch Richard Blunck als Mitarbeiter für die "Konzernpropaganda" (80) der Junkerswerke unter. Das Aufgabenprofil dieser beiden Personen wird in diesem Kapitel allerdings noch nicht präzisiert.

Mit einer Schilderung des Zusammenhangs zwischen verschiedenen Gesellschaftsbildern und einer durch das Flugzeug vermittelten neuen Perspektive schließt das nächste Kapitel an. Zweifellos finden sich hier erhellende Passagen und Ansätze. Insbesondere sei auf die Verbindung von Luftfahrt, Luftbildtechnik und Stadtplanung hingewiesen, eine Verbindung, der das Buch wohl auch seinen Titel verdankt. Allerdings geht Siegfried diesem interessanten Aspekt nicht systematisch nach, geschweige denn, dass er ihn zum roten Faden der Untersuchung gemacht hätte. Trotz der sicherlich von neuen Materialien wie insbesondere dem Aluminium ausgeübten Faszination scheint dem Rezensenten in Siegfrieds Analyse der ästhetische Aspekt gegenüber anderen Gesichtspunkten wie beispielsweise der Produktionstechnik zu stark gewichtet zu sein. Deutlich wird dies etwa bei dem Versuch, Aluminium mit eher zivilen, Stahl mit eher militärischen Deutungsmustern in Verbindung zu bringen (90 f.), auch wenn vom Autor die begrenzte Trennschärfe solcher Kategorisierungen sogleich zugestanden wird. Sodann greift Siegfried auf Texte von Ernst Jünger zurück und geht Anknüpfungspunkten nach, die das Flugzeug der politischen Rechten bot (insbesondere als Symbol des nationalen Wiederaufstiegs), und spürt in einem zweiten Schritt den Assoziationsmöglichkeiten für die politische Linke nach (wie etwa einer durch den Luftverkehr erleichterten Völkerverständigung) - die Flugzeuge von Junkers boten Anknüpfungsmöglichkeiten für beide politischen Haltungen.

Einleuchtend ist die Schilderung der Beziehungen zwischen Junkers und dem Bauhaus nach dessen Umzug nach Dessau, die sich zunächst auf das gemeinsame Interesse am industriellen Metallhausbau bezogen, wenngleich eine kontinuierliche Zusammenarbeit hier nicht zustande kam. Wichtiger scheinen die Einflüsse des Bauhauses auf die Diskussion des Verhältnisses von Kunst und Technik sowie auf die von dieser Diskussion geprägte gesamte Außendarstellung des Junkers-Konzerns gewesen zu sein, sein "Corporate Design", allerdings nicht auf die Gestaltung der Flugzeuge selber (139). In den nachfolgenden Passagen wird dann auch in erhellender Weise die konzerninterne Durchsetzung einer zeitgemäßen Außendarstellung geschildert, bis hin zur Plastik des "fliegenden Menschen", die Blickfang des Junkers-Standes auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 1928 war.

Gleichwohl liegt eine Schwäche des Buches darin, dass es an vielen Stellen die Kenntnis der Unternehmensorganisation und der Produktpolitik der Junkerswerke ebenso voraussetzt wie die Kenntnis der Hintergründe der Enteignung von Junkers 1933/34 (zum Beispiel 168 f.; erst im vierten Kapitel geht Siegfried auf diese Vorgänge, die allerdings auch schon von Budraß untersucht worden sind, näher ein). Darüber hinaus erschwert es eine insgesamt sprunghafte Darstellung, den jeweils diskutierten Kontext im Blick zu behalten. So behandelt der Autor erst im dritten Teil des Buches (194 ff.) die spezifische Junkerssche Unternehmenskonzeption mit ihrem Schwerpunkt auf der Forschung näher, ohne deren Kenntnis die früheren Passagen zum Einfluss Dethmanns oder Drömmers ein wenig freischwebend wirken. In dieser Vorgehensweise wird auch das Grundproblem der Studie sichtbar, die eben nicht vom Gesichtspunkt der Flugzeugproduktion und den vielfältigen Branchenbezügen her verfasst ist, sondern sich aus dem Interesse an den untersuchten Akteuren speist, die zum Teil erst spät in das Unternehmen eintraten. Etwas bemüht wirken denn auch die Versuche des Autors, in einer generell kapitalismuskritischen Haltung eine Kontinuität von Dethmanns linksradikalen Anfängen zu seiner konkreten Aufgabe der Unternehmenssanierung seit 1930/31 zu konstruieren (221 ff.).

Mit einem Ausblick auf die Schicksale der untersuchten Personen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten schließt der Band, der einen ambivalenten Eindruck hinterlässt: Einerseits eröffnet er interessante Einblicke in die Entwicklungsgeschichte der Außendarstellung der Junkerswerke und der intellektuellen Hintergründe der hier tätigen Manager und Mitarbeiter. Andererseits hätte die Studie von einer Einbindung in die Branchengeschichte und einem schlüssigeren Aufbau unverkennbar profitiert.


Michael C. Schneider