Peter Helmberger: Blauhemd und Kugelkreuz. Konflikte zwischen der SED und den christlichen Kirchen um die Jugendlichen in der SBZ/DDR (= Forum Deutsche Geschichte; 16), München: Martin Meidenbauer 2008, 346 S., ISBN 978-3-89975-658-6, EUR 49,90
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Das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR ist ebenso wie die Jugendpolitik der SED Gegenstand zahlreicher Abhandlungen. Eine Zusammenschau von Jugend- und Kirchenpolitik der SED einerseits sowie kirchlicher Jugendarbeit andererseits über den gesamten Zeitraum der DDR-Geschichte stand allerdings aus. Diese hat Peter Helmberger in seiner Dissertation vorgelegt, die 2001 von der Berliner Humboldt-Universität angenommen worden und leider erst jetzt als Buch erschienen ist. Dieses Manko schlägt insofern zu Buche, als etwa zu den Jungen Gemeinden mittlerweile ein Standardwerk erschienen ist [1], dessen Ergebnisse man hier gern reflektiert oder diskutiert gesehen hätte.
Helmberger geht "von den zentralen, oberen Leitungsebenen auf beiden Seiten" aus, da hier wesentliche Rahmenbedingungen gesetzt worden seien (21), ohne regionale oder lokale Besonderheiten zu berücksichtigen, wenngleich er sie nicht leugnet. Und ebenso wenig nivelliert er Unterschiede in den kirchlichen Positionen - weder zwischen den beiden großen Konfessionen noch bei den evangelischen Kirchen. An seinem Fokus orientiert sich auch die Quellenbasis, die aus Unterlagen aus den zentralen staatlichen und kirchlichen Archiven besteht.
Nach einer relativ knappen Einleitung skizziert Helmberger in einem ersten Hauptteil knapp die Akteure der Auseinandersetzung und die Rahmenbedingungen, voran die prinzipiellen ideologischen bzw. weltanschaulichen Konfliktlinien zwischen SED- und Staatsführung und Kirchen und die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse.
Sehr deutlich stellt Helmberger die unterschiedlichen Ausgangspositionen von SED und Kirchen dar. Setzte die SED ihren totalitären Gestaltungsanspruch gegenüber Gesellschaft und Individuum zuweilen rücksichtslos durch, so konterkarierte sie ihre Position durch erhebliche, oft kurzfristige Kurswechsel gerade in der Jugendpolitik. Demgegenüber operierte die kirchliche Jugendarbeit fortwährend auf einer dürftigen materiellen Basis und erreichte zunehmend nur einen Bruchteil der Jugendlichen. Gleichwohl kennzeichnete die kirchliche Jugendarbeit eine "von bemerkenswertem Verständnis geprägte, offizielle Haltung gegenüber den Heranwachsenden [...], häufig kombiniert mit einem kritischen Blick auf die Entwicklung der modernen Kultur und Zivilisation." (80)
Insofern trugen die Kirchen durchaus ihrem Status als einzige unabhängige intermediäre Organisationen innerhalb der DDR-Gesellschaft Rechnung. Aufgrund dessen bekämpfte der SED-Staat sie auch frühzeitig. Alle Auseinandersetzungen kulminierten an einem Punkt, an dem beide Seiten zur Verständigung genötigt waren, die allerdings nie dauerhaft war, weshalb "Teilkonflikte oft parallel fortexistierten." (107)
Mit den einzelnen Konfliktfeldern - Religionsunterricht/Christenlehre, Junge Gemeinden und Studentengemeinden, Jugendweihe, Militarisierung der Gesellschaft und Freizeit - beschäftigt sich Helmberger in seinem zweiten Hauptteil. Knapp führt er jeweils in Ausgangslage und Vorgeschichte der Konflikte ein (was sich gerade beim Religionsunterricht mit Blick auf alliierte Vorschriften für Berlin als interessant erweist), schildert ausführlich den Konfliktverlauf und gibt abschließend einen knappen Ausblick.
Den breitesten Raum nimmt der Kampf gegen die Jungen Gemeinden ein, in deren Fahrwasser sich auch die Auseinandersetzungen um die (evangelischen) Studenten- bzw. (katholischen) Hochschulgemeinden bewegten. Sehr deutlich verweist Helmberger darauf, dass die vorübergehende Entschärfung dieser Konfliktfelder der sowjetischen Führung zu verdanken war, die Ostberlin unmittelbar vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 einen Neuen Kurs verordnete. Zugleich forderten die Sowjets eine Zuspitzung des weltanschaulichen Kampfes, die dann mit der Einführung der Jugendweihe erfolgte.
Grundlage dafür war der Politbüro-Beschluss "Die Politik der Partei in Kirchenfragen" vom 14. März 1954, der erstmals eine langfristige kirchenpolitische Strategie enthielt, die bis 1989 gültig blieb: Eine "Differenzierungspolitik" gegenüber den Kirchen, die zwar vordergründig Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen, aber insgesamt sämtliche gesellschaftlichen Ansprüche der Kirchen zurückweisen sollte (216f.).
In seinem Ausblick zur Jugendweihe stellt Helmberger anschaulich dar, warum die Jugendweihe sich als "Volkssitte" in der DDR etablieren und den SED-Staat überdauern konnte. Im Zuge dieser Entwicklung sei es zu einem "Rollentausch" zwischen der staatlichen Seite und den Kirchen gekommen: Die Jugendweihe habe durch ihre gesellschaftliche Akzeptanz als staatlich sanktionierte Familienfeier erheblich an konfessionellem Wert verloren, während Konfirmation und Firmung wieder zu echten Bekenntnisakten aufgewertet worden seien (242).
Mit der Jugendweihe waren die beiden Volkskirchen auf einen Status nahezu reiner "Kultkirchen" zurückgedrängt worden und damit hatte die SED ihr kirchenpolitisches Ziel erreicht. Allerdings entwickelten sich die Kirchen im Zuge der Auseinandersetzungen um einen Wehrersatzdienst und um die Militarisierung des Schulwesens wie auch um die Freizeitgestaltung Jugendlicher zu Fürsprechern von Menschen, die nicht auf demselben weltanschaulichen Fundament standen, aber ähnliche oder gleiche Ziele verfolgten. Die SED provozierte also mit diesen Konflikten - gerade in den 80er-Jahren - eine Politisierung von Bevölkerungskreisen, die den Kirchen fern standen.
Das hätte im Bereich der Freizeitgestaltung Jugendlicher noch stärker gezeigt werden können. Doch hier erweist sich Helmbergers zentral angelegter Fokus als Schwachpunkt, denn in den Blick gerät weder die Gemeinde(jugend)arbeit als wesentlicher Bestandteil kirchlichen Handelns noch der kirchliche Umgang mit jugendlichen Subkulturen. Die Entwicklung kirchlicher Basisgruppen und damit politischer wie auch innerkirchlicher Dissidenz und Opposition kann der Autor deshalb leider nicht auch nur annähernd würdigen.
Letztlich - so Helmbergers Resümee - erwiesen sich die Kirchen flexibler im Umgang mit den Modernisierungstendenzen der DDR-Gesellschaft, während die SED in ihrem Paternalismus verharrte und sich damit zunehmend in eine Legitimationsfalle begab. Das Ungleichgewicht zwischen Staat und Kirche blieb allerdings bis zum Herbst 1989 bestehen und die Kirchen konnten auch danach den Säkularisierungsschub der vorangegangenen Jahrzehnte in keiner Weise kompensieren. Die Entwicklung bis dahin kann Helmberger anhand der ausgewählten zentralen Konflikte um die Jugendlichen zwischen Staat und Kirche in der DDR eindrücklich beschreiben.
Diese Darstellung wird allerdings durch die Statistiken im Anhang kaum erhellt; vielmehr hätte der Autor einem Personenregister Vorrang geben sollen. Die insgesamt flüssige und zuweilen durchaus spannende Lektüre wird ein wenig erschwert durch den inflationären Gebrauch einfacher Anführungszeichen, deren Sinn sich kaum erschließt ('Junge Gemeinde', 'unter dem Dach der Kirche', 'Neuer Kurs', '17. Juni' u.ä.). Ungeachtet der genannten Schwächen hat Peter Helmberger mit seiner Zusammenschau von Kirchen- und Jugendpolitik der SED sowie den Reaktionen der Kirchen darauf einen interessanten Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte der DDR geleistet.
Anmerkung:
[1] Ellen Ueberschär: Junge Gemeinde im Konflikt. Evangelische Jugendarbeit in der SBZ/DDR 1945-1961, Stuttgart 2003.
Marc-Dietrich Ohse