Mark Fenemore: Sex, Thugs and Rock 'n' Roll. Teenage Rebels in Cold-War East Germany (= Monographs in German History; Vol. 16), New York / Oxford: Berghahn Books 2007, xviii + 277 S., ISBN 978-1-57181-532-3, GBP 45,00
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Mark Fenemore wählt für seine Monografie über Jugendkulturen beziehungsweise Jugendsubkulturen in der SED-Diktatur eine Genderperspektive und betritt damit weitestgehend Neuland. Die Studie erweitert die Kenntnisse über Jugend(-politik) wie auch über Geschlechterverhältnisse in der DDR um wichtige Aspekte. Fenemore führt seine Thesen am Beispiel Leipzigs aus [1], weil dort erkennbar sei, dass Jugendrebellion sich nicht auf Unterschichten beziehungsweise die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch die "middle class" ergriffen habe (8).
Die Studie schließt an die Arbeit Detlev Peukerts über Meuten im Nationalsozialismus an und fragt dementsprechend weniger nach Institutionen der Jugendpolitik als nach den Gründen für das Scheitern der Gleichschaltung Jugendlicher in der Diktatur. [2] Zum anderen folgt Fenemore dem Ansatz des Birmingham Centre of Contemporary Cultural Studies (CCCS), der - in Anlehnung an Antonio Gramsci - zwischen hegemonialen (offiziellen) Kulturen und resistenten Subkulturen unterscheidet. Allerdings geht der Autor insofern darüber hinaus, als er nachweist, dass gerade mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse Elemente der Hegemonialkultur auch in den Subkulturen zu finden seien (9f.).
Dies belegt Fenemore sehr eingehend und anschaulich anhand der Entwicklung von Geschlechterbildern beziehungsweise Rollenzuweisungen und deren Revitalisierung in Konflikten zwischen dem SED-Staat und nonkonformen Jugendlichen. Dem voraus gehen eine knappe Skizze der Forschungsfragen und eine Darstellung des Ansatzes und der Quellenlage sowie ein kurzer Aufriss der politischen Rahmenbedingungen und Institutionen der "zigzag policies in relation to gender, youth and sexuality." (29) Fenemore stützt sich auf ein breites Spektrum archivalischer Quellen (lokaler, regionaler und zentralstaatlicher Bestände, bis hin zu Stasiakten), auf Presseveröffentlichungen, narrative Interviews wie auch einen - begrenzten - Fundus aus Literatur, Film und Fotografie.
Sehr eindringlich gelingt es dem Autor, Korrelationen zwischen nonkonformen Jugend(sub-)kulturen in der DDR und ihrer Stigmatisierung durch den SED-Staat mit Zuweisungen von Geschlechterrollen und -stereotypen aufzuzeigen. Dabei stellt Fenemore gewisse janusköpfige, ambivalente ("binary") Zuschreibungen fest (239). So habe der SED-Staat, bis hinein in die Alltagswelt der Arbeit, ein heroisches Männlichkeitsideal propagiert, dessen Traditionen - entgegen dem antifaschistischen Selbstverständnis der SED - zum Teil in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreichten. Ähnliche Kontinuitäten findet Fenemore in der Stigmatisierung alternativer sexueller Lebensweisen, etwa im Verhältnis zur Homosexualität, vor allem aber in der Auseinandersetzung mit dem sich wandelnden (sexuellen) Selbstverständnis von jungen Frauen.
An den Stellen, wo der Verfasser sehr detailliert auf die Rollenzuweisungen und deren praktische Umsetzung eingeht, ist seine Studie besonders überzeugend. So zeigt Fenemore einerseits die kommunistischen Ideale des kämpferischen Arbeiters und antifaschistischen Verteidigers des Sozialismus (45-50) und andererseits das - geradezu traditionelle - Bild der sozialistischen Frau, die um Reinheit und Mütterlichkeit bemüht sein solle und vorrangig auf eine helfende Funktion bei Aufbau und Verteidigung des Sozialismus und dementsprechende Unterstützung des Kämpfers und Arbeiters reduziert werde (56-58). Diesen Männlichkeits- und Weiblichkeitsidealen stehen die nonkonformen bis devianten jungen Männer gegenüber. Deren eigene Rollenzuschreibungen deckten sich gleichwohl zum Teil mit denen der SED - nämlich dort, wo es um Härte und damit auch um die Unterordnung des "Schwachen", einschließlich des Fremden und des Weiblichen ging. Ihnen gegenüber stehen die nonkonformen jungen Frauen, deren sexuelle (Selbst-)Befreiung und Selbstbehauptung als "unsauber", "krank(haft)" und "asozial" diskriminiert werden (187-190).
Der Wandel der Weiblichkeit fand überwiegend im Privaten statt, da er nicht nur von den alten Männern der SED weitgehend missbilligt wurde. Das Gleiche gilt für die Homosexuellen, auf die der Autor nur in seiner Zusammenfassung kurz eingeht (237f.). Beides führte, wie er eingesteht, zu Ungleichgewichten in der Quellenbasis und zum Teil eben auch in seinen Ausführungen. Darin liegt eine Schwäche seines Buches. Die große Stärke der Studie besteht jedoch darin, dass sie Männlichkeitsideale und deren praktischen Vollzug in den verschiedensten Zusammenhängen untersucht und zusammenführt. Das wird unter anderem dort besonders interessant, wo Fenemore die Tugenden von Neonazis in der DDR mit denen von SED-Funktionären vergleicht und deutliche Parallelen zwischen den Idealen des harten Mannes auf der Straße und des braven Bürgers auf der Arbeit und zu Hause nachzeichnen kann (221).
Insgesamt findet der Verfasser etliche Ambivalenzen, wenn er feststellt, dass die Partei hier einerseits Traditionslinien der Arbeiterbewegung fortgesetzt, andererseits aber in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen und deren Nonkonformismus in Habitus, Musik und Mode sowie vor allem im Verhältnis der Geschlechter kleinbürgerliche Normen sich zu eigen gemacht und genutzt habe. Habe die SED dadurch einen Konsens der Älteren herstellen können, auf den Fenemore nicht näher eingeht, so habe die Partei ihn mit der Jugend nur dann erreicht, wenn sie ihr Offenheit und Toleranz entgegenbrachte (157).
Im Umgang mit der Jugend neigten die Kommunisten in der DDR zu vielfältigen Fehlschlüssen und Fehlgriffen. Dazu zählt, dass ihr Männlichkeitsideal sich nicht nur mit dem der Arbeiterklasse, sondern eben auch mit dem des Nationalsozialismus deckte. Das Gleiche gilt für die kämpferische, teilweise gewaltverherrlichende Rhetorik und für die Ausgrenzung alternativer Lebensentwürfe, einschließlich des sexuellen Selbstverständnisses, die als "asozial" und damit als "gemeinschaftsfremd" denunziert und sanktioniert wurden.
Gleichwohl seien mit dem Verzicht auf die Geschlechtertrennung in der Arbeit der FDJ und der progressiven Frauenpolitik seit Anfang der Siebzigerjahre Identifikationsangebote für junge Frauen bereitgestellt worden. Junge Männer hingegen hätten sich dort am ehesten mit dem SED-Staat identifiziert, wo dessen Rollenzuschreibungen sich mit den eigenen deckten. Die Stigmatisierung abweichender Rollen(selbst-)verständnisse hingegen habe langfristig zu einer Stärkung jenes Potenzials geführt, das sich seit Anfang der Achtzigerjahre in der Bürgerrechtsbewegung formierte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. mit demselben lokalen Fokus u.a.: Michael Vester u.a. (Hgg.): Soziale Milieus in Ostdeutschland. Gesellschaftliche Strukturen zwischen Zerfall und Neubildung, Köln 1995; Dorothee Wierling: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR, Berlin 2002. Fenemore berücksichtigt hingegen nicht Annegret Schüle: "Die Spinne". Die Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit im VEB Leipziger Baumwollspinnerei, Leipzig 2001, und Marc-Dietrich Ohse: Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigensinn, Berlin 2003.
[2] Detlev Peukert: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Köln 1982.
Marc-Dietrich Ohse