Hakan Rydving (ed.): Al-Ṭabarī's History. Interpretations and Challenges (= Acta Universitatis Upsaliensis - Historia Religionum; 27), Uppsala: Acta Universitatis Upsaliensis 2007, 100 S., ISBN 978-91-554-6786-9, USD 32,50
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Nasreen Alavi: Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005
Will Smiley: From Slaves to Prisoners of War. The Ottoman Empire, Russia, and International Law, Oxford: Oxford University Press 2018
Paulina B. Lewicka: Food and Foodways of Medieval Cairenes. Aspects of Life in an Islamic Metropolis of the Eastern Mediterranean, Leiden / Boston: Brill 2011
Stefan Reichmuth: The World of Murtaḍā az-Zabīdī (1732-91). Life, Network and Writings, London: Gibb Memorial Trust 2009
Hugh Kennedy: The Byzantine and Early Islamic Near East, Aldershot: Ashgate 2006
Georg Ostrogrosky: Byzantinische Geschichte 324 bis 1453, München: C.H.Beck 2006
Mawlânâ Sulaymân al-Kindî: The Islâmic Conquest of Syria. A translation of Futûhushâm: the inspiring history of the Ṣahâbah's, conquest of Syria as narrated by the great historian of Islâm al-Imâm al-Wâqidî, London: Ta-Ha Publishers Ltd. 2005
In einer meiner letzten Rezensionen habe ich auf die Bedeutung von aṭ-Ṭabarīs Annalen, einer im 10. Jahrhundert verfassten Weltchronik, aufmerksam gemacht und bedauert, dass "es von wenigen Ausnahmen abgesehen [...] keine Studie zum Aufbau der Annalen, zur Autorenschaft aṭ-Ṭabarīs oder zu seinem Wirken als Sammler beziehungsweise Editor" gäbe.[1] Diesem Umstand ist mit zwei neueren Publikationen Abhilfe geschaffen. Die erste Publikation ist der hier zu besprechende Band, in dem vier Beiträge zu aṭ-Ṭabarīs Annalen vereint sind, die zweite Veröffentlichung ist ein Konferenzband, den ich ebenfalls bald in den 'sehepunkte(n)' besprechen werde.[2]
Håkan Rydving, Professor für Religionsgeschichte an der Universität Bergen, hat vier Beiträge von jungen Islamwissenschaftlern aus Skandinavien herausgegeben, die verschiedene Zugänge zu den Annalen darlegen. Im ersten Beitrag werden die Annalen als in Ansätzen post-modernes Werk verstanden, im zweiten mit Hilfe der strukturalen Analyse untersucht, im dritten werden sie mit der persischen Übertragung Bal'amīs verglichen und im vierten Beitrag werden die Versionen von aṭ-Ṭabarīs Gewährsleuten Ibn Isḥāq und al-Wāqidī miteinander verglichen.
Göran Larsson ("Al-Ṭabarī on History and Knowledge", 15-24) vergleicht die Vorgehensweise aṭ-Ṭabarīs bei der Erstellung seiner Annalen mit der Praxis moderner Historiker. So versucht Larsson die Gründe herauszuarbeiten, weshalb aṭ-Ṭabarī die Annalen verfasst hat. Er kommt zu dem Schluss, dass aṭ-Ṭabarī an mehreren historischen Beispielen darlegen will, was passiert, wenn Menschen von Gottes Pfad abweichen (17). Aṭ-Ṭabarī will entsprechend einem post-modernen Verständnis von Geschichtsschreibung eine "Geschichte" mit einer bestimmten Intention erzählen und keine objektive Beschreibung des Vergangenen abgeben. So will aṭ-Ṭabarī darlegen, was mit Herrschern passiert, die Gottes Plan nicht folgten (18). Dazu bedient er sich überlieferten Wissens, das von bewährten Überlieferern tradiert wurde, und verwirft das Räsonieren als Möglichkeit historische Dinge darzulegen (20). Diese Überlieferungen werden von dem Historiker nach subjektiven Kriterien ausgewählt, wobei gilt: Bewährtere Überlieferer übermitteln sichereres Wissen als weniger bewährte (21). Um herauszufinden, welcher Überlieferer der bessere ist, muss der Historiker dieselben bewerten. Mit anderen Worten führt aṭ-Ṭabarī als Verfasser der Annalen Prozesse durch, die ein moderner Historiker ähnlich unternehmen würde. Larssons Vergleicht hat somit Einiges für sich.
Torsten Hylén ("An Attempt at Structural Analysis of the Karbalā' Drama According to al-Ṭabarī", 25-55) untersucht einen Teil (8 aus 175 Seiten) der "dramatischen" Ereignisse bei Karbalā', wo der Prophetenenkel al-Ḥusain umgekommen ist, erstmals mit Hilfe der strukturalen Analyse, die Claude Lévi-Strauss entwickelt hat. Hylén erläutert kurz die Grundprinzipien der strukturalen Analyse (27-34), zu denen gehört, dass sich menschliche Strukturen in unterschiedlichen Codes ausdrücken. Elemente eines Codes können auf verschiedene Arten und Weisen angeordnet werden und können in eine jeweils andere Anordnung "übersetzt" werden. Es gilt somit, dass alle Elemente dieselbe Aussage haben. Dann arbeitet Hylén einige Codes aus dem Text heraus, die in Gegensatzpaaren ausgedrückt sind. Wenn zum Beispiel erzählt wird, dass der militärisch unterlegene al-Ḥusain dem feindlichen Kommandanten al-Ḥurr Wasser zu trinken gibt, dann sieht Hylén darin einen "Verteilungscode". Mit al-Ḥusain wird Wasser/Durstlöschen/geringe militärische Ressourcen verbunden während mit al-Ḥurr Hitze/Durst/hohe militärische Ressourcen verbunden werden. Dieser Code beinhaltet zwar verschiedene Elemente (Wasser, Militär), doch sollen sie als Teil der Erzählung für eine einzige Grundaussage stehen. Mit Hilfe von 8 Codes, die Hylén aus der Karbalā'-Darstellung extrahiert und die immer wieder in derselben verwendet werden, kommt er zu dem Schluss, dass der Verrat der Kufier an al-Ḥusain ein Hauptthema der Erzählung ist. Durch diesen Verrat kommt es dazu, dass ein Enkel des Propheten durch Muslime getötet wurde und dass damit der Vertrag zwischen Gott und den Menschen gebrochen wurde. Dies ist die Grundaussage, die aṭ-Ṭabarī mit der Geschichte machen will. In Codes ausgedrückt, heißt das: So wie es einen göttlichen Vertrag (durch den Propheten) mit den Menschen gab, so gab es einen Vertrag zwischen al-Ḥusain und den Kufiern. Der Verrat an al-Ḥusain ist somit ein Vertragsbruch mit Gott (50-51).
In diesem sehr vorsichtig formulierten Beitrag geht es Hylén nicht darum "die Wahrheit" zu finden, sondern um eine Möglichkeit bekanntes Material neu zu betrachten (53). Mit Hilfe der strukturalen Analyse zeigt er einige Beziehungen in der Erzählung (narrative) über Karbalā' auf, über die bisher hinweg gelesen wurde. Insofern bietet dieser Ansatz einen erfrischenden neuen Zugang zu aṭ-Ṭabarīs Annalen. Man darf auf Torsten Hyléns in Kürze erscheinende Dissertation, in der er diesen Ansatz vertieft, gespannt sein.
Judith Josephson ("The Ancient History of Iran According to al-Ṭabarī and Bal'amī", 57-80) setzt wie schon Elton Daniel und Andrew Peacock, deren Beiträge zeitgleich veröffentlicht wurden, bei einem Vergleich von aṭ-Ṭabarīs Annalen und deren "Übersetzung" durch Bal'amī an. Dass Bal'amīs Tārīḫnāmeh keine wörtliche Übersetzung, sondern viel mehr eine persische Adaption der Annalen ist, kann als belegt angesehen werden. Josephson, die die Darstellung von vier mystischen Figuren (Gayōmard, Ğamšīd, Manuchihr, Zoroaster) in beiden Werken vergleicht, legt ihr Augenmerk auf die politische Stoßrichtung beider Werke. Während aṭ-Ṭabarī durch die Darstellung dieser Figuren, das universelle Kalifat iranisch-islamischer Prägung als Beschützer der universalen Religion verteidigt, zeigt Bal'amī, dass auch die nicht-arabische Samanidendynastie in einem Teilreich die universale Religion fördern kann (78).
Sven-Olof Dahlgren ("Composing Islamic History: al-Ṭabarī on the Banū al-Naḍīr", 81-91) versucht an Hand von aṭ-Ṭabarīs Darstellung der Vertreibung der Banū 'n-Naḍīr aufzuzeigen, welche Quellen (Ibn Isḥāqs Sīra, al-Wāqidīs Kitāb al-maġāzī oder Ibn Sa'ds Kitāb aṭ-ṭabaqāt al-kabīr - die richtige Übersetzung lautet: "Das große Buch der Klassen"-) aṭ-Ṭabarī benutzt hat. Er findet viele wörtliche Parallelen zwischen den Annalen und der "Sīra" und wenige wörtliche Parallelen zwischen den Annalen und dem Kitāb al-maġāzī (83). Daraus schließt Dahlgren, dass aṭ-Ṭabarī "Ibn Isḥāqs Text als Grundversion benutzt, in die dieser zusätzliches Material, zum Beispiel das von al-Wāqidī, einwebt" (86). Abgesehen davon, dass die Argumentation nicht sehr übersichtlich gestaltet ist, sind erhebliche Zweifel an Dahlgrens Schlussfolgerung angebracht. Dahlgren geht davon aus, dass Ibn Isḥāqs Sīra ein schon abschließend redigiertes Buch war, aus dem aṭ-Ṭabarī zitieren konnte. Diese Tatsache ist nicht belegt, sie wird von der Forschung sogar eher angezweifelt (siehe Schoeler, Charakter, 48).[3] Die textuellen Gemeinsamkeiten lassen sich auch über eine gemeinsame Quelle erklären, die aṭ-Ṭabarī und Ibn Hišām, dem Redaktor der Sīra (!), vorlag und die nicht mit Ibn Isḥāqs Sīra übereinstimmen muss. Prozesse der textlichen Veränderung von Überlieferungen waren im 8. und 9. Jahrhundert noch Gang und Gebe. Dahlgren macht es sich in seinem Aufsatz zu einfach.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass mit diesem Bändchen eine lesenswerte Publikation erschienen ist, die wie jeder Sammelband gute und weniger gute Beiträge enthält. Die hier vorgestellten Ansätze und Zugangsweisen an die Annalen werden die aṭ-Ṭabarī-Forschung weiterbringen. Den Autoren und dem Herausgeber sei dafür gedankt!
Anmerkungen:
[1] Siehe Jens Scheiner: Rezension von: Boaz Shoshan: Poetics of Islamic Historiography. Deconstructing Tabaris History, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2004, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: http://www.sehepunkte.de/2008/10/15051.html.
[2] Hugh Kennedy (ed.): Al-Ṭabarī. A Medieval Muslim Historian and His Work. Princeton, New Jersey: The Darwin Press 2008.
[3] Gregor Schoeler: Charakter und Authentie der muslimischen Überlieferung über das Leben Mohammeds. Berlin: de Gruyter 1996.
Jens Scheiner