Sabine Müller: Das hellenistische Königspaar in der medialen Repräsentation. Ptolemaios II. und Arsinoe II. (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 263), Berlin: De Gruyter 2009, 454 S., ISBN 978-3-11-020917-4, EUR 99,95
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Die Forschungen zu verschiedenen Aspekten der ptolemäischen Herrschaft wurden in den letzten Jahren erheblich vorangebracht: Dies betrifft zum einen die Erschließung und Auswertung von Dokumenten in griechischer und demotischer Sprache [1], zum anderen die Bearbeitung neuer, vor allem interdisziplinärer Fragestellungen. [2] Außerdem stießen - über Kleopatra VII. hinaus - einzelne Herrschergestalten auf besonderes Interesse [3], ebenso die für die gesamte Epoche und auch andere Reiche relevante Frage nach der rechtlichen Position und faktischen Rolle der Königinnen im Rahmen der Dynastiebildung und Nachfolgeregelung. [4] Durch die Publikation der Poseidippos-Epigramme erfuhr auch die Arbeit an der mit dem Ptolemäerhof verbundenen hellenistischen Dichtung neue Impulse. [5] An etliche dieser Ergebnisse anknüpfend, nimmt Sabine Müller in ihrer überaus material- und facettenreichen Habilitationsschrift die Selbstdarstellung des zweiten Ptolemäerpaares in verschiedenen Medien in den Blick: Es geht ihr nicht nur darum, die Rolle der königlichen Frau und des Königspaares sowie Grundzüge der Heiratspolitik und Dynastiebildung in frühptolemäischer Zeit zu erfassen, sondern auch um die Bestimmung der Erwartungen seitens der herrschenden Gesellschaft und der Untertanen an die Dynastie, was - positiv umgesetzt - zu Akzeptanz führte. Insbesondere die Konzeption der Paarbeziehung im Unterschied zur Selbstdarstellung der Einzelperson eines König bzw. einer Königin stellt in der althistorischen Forschung, nicht nur für die hellenistische Zeit, ein deutliches Desiderat dar, dem Müller für ihren Zeitabschnitt zweifellos abhilft, wenngleich der Titel des Buches mehr verspricht (Ansätze 363f.).
In der "Einleitung" (1-17) wird über das Ziel der Untersuchung, die Quellenlage, den Forschungsstand - jedoch eigentlich nur zu Arsinoe II. - sowie über Terminologisches und Methodisches verlässlich Rechenschaft abgelegt: Die in der Forschung kontrovers beurteilte Königin Arsinoe II., zu der keine aktuelle Monographie vorliegt, eignet sich für die Analyse, weil ihre drei Ehen (mit Lysimachos, mit ihrem Halbbruder Ptolemaios Keraunos und mit ihrem leiblichen Bruder Ptolemaios II.) für verschiedene Konzepte von Herrschaft und Versuche einer Dynastiebildung stehen. Als Basis für ihre Untersuchung dienen Müller die bisherigen Forschungen zum Königshof und zur höfischen Gesellschaft im Hellenismus.
Im Kapitel über "Heiratspolitik und Dynastiebildung" (18-84) zeigt Müller - auf der Folie der achaimenidischen Tradition, der makedonischen Vorbilder und der Problemlösungen in den anderen Dynastien - zum einen die Probleme auf, die für die erste Königsgeneration - Ptolemaios I. und Lysimachos - aus der Polygamie erwachsen. Der Versuch, die Einheit der Familie zu demonstrieren und innerfamiliäre Spannungen möglichst klein zu halten, wird dabei zum zentralen Parameter: Genau hier scheiterte Lysimachos im Konflikt zwischen seinem ältesten Sohn Agathokles und seiner letzten Frau Arsinoe samt deren Söhnen, wie Müller bei ihrer Analyse der schwierigen Quellenlage, auch für die königliche Selbstdarstellung, zeigen kann. Zum anderen analysiert sie das makedonische Königtum des Keraunos, für dessen Legitimierung in Makedonien das Prestige der Diadochenwitwe Arsinoe, seiner Halbschwester, von großer Bedeutung war, ohne dass die Endogamie an sich besonders betont wurde.
Das Kapitel "Endogame Heiratspolitik" (85-155) ist den Umständen und dem Konzept der Geschwisterehe zwischen Ptolemaios II. und seiner leiblichen Schwester Arsinoe gewidmet. Müller untersucht dabei auf der Suche nach möglichen Vorbildern die antiken Traditionen zum Inzest, ebenso die modernen, z.T. moralischen Wertungen, und stellt diesen konkreten Fall, der von etlichen, wenngleich nicht allen nachfolgenden Ptolemäern nachgeahmt wurde, in den Kontext der ptolemäischen Herrschaftssicherung: Ptolemaios scheint keine Polygamie praktiziert und seinen gleichnamigen Sohn und späteren Thronfolger als Sohn von Arsinoe II. anstatt von Arsinoe I. ausgegeben zu haben. Auch wurde die königliche Schwester Philotera nicht verheiratet, sondern als Sicherheitsmaßnahme in die innerdynastische Selbstdarstellung einbezogen, während man andere Familienmitglieder beseitigt hat. Von diesem Konzept ging Ptolemaios auf dem Fundament einer gesicherten Herrschaft ab, als er ca. 253 v.Chr. seine Tochter Berenike mit Antiochos II. verheiratete, denn dadurch war nicht nur, wie es dann geschah, die Tür des Seleukidenreiches einen Spalt für die Ptolemäer geöffnet, sondern auch in umgekehrter Richtung. Ptolemaios brachte jedenfalls mit dem Kult für seine verstorbene Frau und Schwester als thea philadephos zum Ausdruck, dass der Platz an seiner Seite - trotz diverser Geliebter wie Bilistiche - nach wie vor besetzt war.
Das umfangreichste Kapitel behandelt "Die mediale Inszenierung des Ptolemäerpaares" (156-386); hier wird eine Fülle von relevanten Quellen aus dem Bereich der Dichtung, der Münzen, der Inschriften und der hieroglyphischen Abbildungen verarbeitet und sachgemäß kommentiert. Analysiert werden Aspekte der höfischen Kultur unter besonderer Berücksichtigung des Dionysos, die schrittweise entfaltete kultische Verehrung der Ptolemäer, die Darstellungen auf den Münzen (mit vielen wichtigen Einzelbeobachtungen) und wichtige Stelen aus der ägyptischen Überlieferung. Konzise und weiterführend sind vor allem die Auswertung der Beschreibung des Festzelts und der Prozession in Alexandreia (176-205) und die Auswertung derjenigen Gedichte aus dem Werk des Poseidippos, die sich direkt auf die Ptolemäer beziehen und bislang noch nicht in der Zusammenschau ausgewertet wurden (206-246). Müller betont vor allem die "Polyvalenz der ptolemäischen Herrschaftsrepräsentation" (175) und erachtet die übliche Fokussierung auf eine griechische und eine ägyptische Lesart als nicht ausreichend, doch entziehen sich die konkreten Verstehenshorizonte der Rezipienten unserer Kenntnis.
Ein eigenes Schlusskapitel fehlt; dies stellt wohl das "Fazit" in IV.7. dar, in dem nochmals die Rolle der Königin unter dem Gesichtpunkt des Rechts, der Repräsentation etc. reflektiert wird. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis (387-448) zeigt, dass sich Müller mit dem Forschungsstand in allen Facetten vertraut gemacht hat. [6] Der Anhang (449-454) beinhaltet ein Personenregister und fünfzehn Münzabbildungen, auf die im Text kaum verwiesen wird; daneben vermisst man jedoch ein Stellenregister, das dem Leser die Möglichkeit geboten hätte, einzelne Passagen aus der Dichtung und den Inschriften gezielt zu finden. [7] Auch wäre die Auswertung weiterer Bildzeugnisse jenseits des Münzkontextes (336-348) für das Thema sinnvoll gewesen, wenngleich konkrete Zuschreibungen an Arsinoe II. äußerst schwierig sind. [8]
Positiv hervorzuheben ist nicht nur die klare, stets transparente Argumentation, sondern auch, dass Müller die derzeit im angelsächsischen Sprachraum favorisierte These einer ägyptischen Lesart der hellenistischen Dichtung stark nach Intentionen und Kontexten zu differenzieren sucht (190). Nur selten verwendet Müller den problematischen Begriff "Propaganda" (15, 44, 337), sondern spricht eher von Selbstdarstellung. Mitunter kann man Sachverhalte anders gewichten, z.B. bei der Behauptung einer höfischen Regie hinter der Weihung des Kallikrates (266), bei der postulierten Notwendigkeit einer dichterischen Parallelisierung der Geschwisterehe im Götterpaar Zeus und Hera (128ff.) und bei der Verifizierung von Elementen mit vielleicht ägyptischem Ursprung auf den Münzen (369ff.). Gelegentlich gerät durch die Betonung einer Geschlossenheit der Legitimierungsbestrebungen von Ptolemaios II. in den Hintergrund, dass sich vieles erst sukzessiv entwickelt und zusammengesetzt hat; die Vorstellung von einer ausgearbeiteten und kohärenten Konzeption wird mitunter zu sehr forciert, indem z.B. ausgeschlossen wird, dass Arsinoe II. noch Kinder bekommen konnte (135). Insgesamt hat Müller aber ein anregendes Buch vorgelegt, das nicht nur verschiedenartige Zeugnisse sachgemäß unter einer Fragestellung auszuwerten versucht, sondern auch dazu führen könnte, das Phänomen des Herrscherpaares in seiner Relevanz intensiver in den Blick zu nehmen.
Anmerkungen:
[1] Z.B. M. Minas: Die hieroglyphischen Ahnenreihen der ptolemäischen Könige, Mainz 2000; St. Pfeiffer: Das Dekret von Kanopos (238 v.Chr.), München 2004.
[2] Bes. J.G. Manning: Land and power in Ptolemaic Egypt. The structure of land tenure, Cambridge 2003; A.-E. Veisse, Les "Révoltes égyptiennes", Löwen 2004; S. von Reden: Money in Ptolemaic Egypt, Cambridge 2007.
[3] Vgl. P. McKechnie / Ph. Guillaume (ed.): Ptolemy II Philadelphus and his World, Leiden 2008; P. Nadig: Zwischen König und Karikatur. Das Bild Ptolemaios' VIII im Spannungsfeld der Überlieferung, München 2008.
[4] D. Ogden: Polygamy, Prostitutes and Death. The Hellenistic Dynasties, London 1999; E. Carney: Women and Monarchy in Macedonia, Norman 2000.
[5] K. Gutzwiller (ed.): The New Posidippus, Oxford 2005; M. Di Marco / B.M. Palumbo Stracca / E. Lelli (a cura di): Posidippo e gli altri, Pisa / Rom 2005; W. Lapini: Capitoli su Posidippo, Alessandria 2007.
[6] Zu ergänzen wäre K. Buraselis: The Problem of the Ptolemaic Sibling Marriage. A Case of Dynastic Acculturation, in: McKechnie / Guillaume (Anm. 3), 291-302. Zum Alexandergrab jetzt A. Hartmann: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungspraktiken in antiken Gesellschaften, Berlin 2010, 334ff.
[7] Sachliche Fehler sind selten: Antiochos I. nahm nicht die "die Mutter seines Vaters zur Frau" (155), sondern die Frau seines Vaters; somatophylakes haben zumindest zur Zeit Alexanders des Großen nichts mit einem "makedonischen cursus honorum" (227/474) zu tun. Den griechischen Zitaten wäre, gerade mit Blick auf die vielen Akzentfehler, ein weiterer Korrekturdurchgang zugute gekommen (61, 124/249, 136/324, 145-147, 151-153 etc.), ebenso dem Seitenlayout (204, 286); in etlichen Fußnoten fehlt der erste Buchstabe. Auch kann man (286) ein Kallimachos-Fragment, von dem in jeder Zeile nur wenige Worte erhalten sind, nicht als fortlaufenden Text abdrucken. Schulte 2002 fehlt im Literaturverzeichnis (84/421), ebenso Marks 2005 (259/666); statt Beyer-Rotthofer (149/399) muss es heißen: Beyer-Rotthoff; statt Bremme 1998 (60/279) Bremmer, statt Orbink (268/722) Obbink. 100/108 liegt ein Übersetzungsfehler von autou vor: Statt "Denn die Schwester und Gattin selbst ... " richtig: "Denn seine Schwester und Gattin ...".
[8] Vgl. St. Schmidt: Kunst am Hof der Ptolemäer - Dokumente und Denkmäler, in: Städel-Jahrbuch N.F. 19, 2004, 511-524.
Gregor Weber