Rezension über:

Edith Sheffer: Burned Bridge. How East and West Germans Made the Iron Curtain, Oxford: Oxford University Press 2011, XXII + 358 S., ISBN 978-0-19-973704-8, USD 29,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Roger Engelmann
BStU, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Roger Engelmann: Rezension von: Edith Sheffer: Burned Bridge. How East and West Germans Made the Iron Curtain, Oxford: Oxford University Press 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/22308.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Edith Sheffer: Burned Bridge

Textgröße: A A A

"Burned Bridge" - "Gebrannte Brücke", so heißt ein Flurstück an der thüringisch-bayerischen Landesgrenze zwischen den Orten Sonneberg und Neustadt und genauso hieß auch der dort zeitweise bestehende Grenzübergang. Der Name geht auf eine kleine Brücke oder einen Knüppeldamm zurück, der dort in grauer Vorzeit sumpfiges Gelände überbrückte und zum Schutz gegen Verwitterung angekohlt wurde. Mit diesem durchaus metaphorisch gemeinten Titel ist eine bemerkenswerte mikrohistorische Fallstudie zu einer kleinen deutsch-deutschen Grenzregion in den Jahren der Teilung (1945-1989) überschrieben, die auf einer in Berkeley (University of California) entstandenen Dissertation basiert.

Die Studie besticht durch eine außerordentlich umfassende und gründliche Quellenarbeit, die unterschiedlichste Quellentypen nutzt (staatliche und kommunale Überlieferungen, Lokalpresse, private Sammlungen, Zeitzeugeninterviews) und auf deren Grundlage eine dichte Beschreibung von sozialen Prozesse gelingt, die mit der Teilung dieser Region einhergingen oder - im Sinne der Autorin gesprochen - diese Teilung mit hervorbrachten.

Die Studie ist in drei Teile gegliedert und folgt dabei den Hauptzäsuren der Grenzschließung. Das erste Hauptkapitel mit dem Titel "Demarcation Line" behandelt die Zeit von 1945 bis 1952, als die Grenze noch relativ durchlässig war. Im Hinblick auf diese Phase erscheint die im Untertitel des Buches formulierte Grundthese der Autorin am überzeugendsten, nach der "die Deutschen" in Ost und West den "eisernen Vorhang gemacht" hätten. Grenzkriminalität, vor allem der endemische Schmuggel, wirtschaftliche Konkurrenz und die zunehmende Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den beiden Besatzungszonen schufen kollektive Abgrenzungstendenzen in der lokalen Bevölkerung.

Während im ersten Hauptkapitel die westliche und die östliche Seite nahezu gleichgewichtig behandelt werden, schwenkt der Fokus der Betrachtung in den beiden weiteren Kapiteln stärker auf die östliche Seite, was - nach Auskunft der Autorin - vor allem quellenbedingt ist. Das zweite Hauptkapitel beginnt mit der Grenzsperrung vom Frühsommer 1952, die mit der Einrichtung eines gestaffelten Systems von Sperrzonen und der ebenso brutalen wie willkürlichen Aussiedlungsaktion "Ungeziefer" einherging. Diese Ereignisse, die eine Fluchtwelle in den Westen auslösten (und damit zahlreiche Sonneberger ins bayerische Neustadt "spülten"), werden als traumatischer Schlüsselvorgang beschrieben, der die Grenzbevölkerung auf östlicher Seite nachhaltig eingeschüchtert hat. Die partielle Einbeziehung der lokalen Bevölkerung in die Maßnahmen schuf darüber hinaus Tatbestände von Mittäterschaft und Mitläufertum. "Grenzsicherung" und Sperrzonenregelungen bedingten Prozesse der sozialen Kontrolle und Anpassung, die in der etwas eigenwilligen Kapitelüberschrift "Living Wall" auf den Punkt gebracht werden.

Das letzte Hauptkapitel mit der Überschrift "Iron Curtain" beginnt mit der Berliner Grenzschließung von 1961, die auch an der innerdeutschen Grenze zu einem deutlich strengeren Regime führte: Neben einer zweiten, diesmal besser organisierten Aussiedlungsaktion mit dem Codenamen "Festigung", die das Trauma der ersten erneuerte, kam es jetzt zu einer sukzessiven Abdichtung der Grenze durch den systematischen Ausbau der Grenzanlagen und verstärkte Restriktionen im Grenzhinterland. Im Kreis Sonneberg wuchs die Sperrzone auf das Doppelte, sie umfasste bis 1972 auch die Kreisstadt sowie insgesamt 87 Prozent der Kreisbevölkerung (was den DDR-Spitzenwert bedeutete). Sonneberg war somit gleichsam ein Extremfall, bei dem die Auswirkungen des Grenzregimes auf das Alltagsleben besonders ausgeprägt waren. Das änderte sich auch nach 1972 nur wenig, als das Sperrgebiet wieder verkleinert wurde, weil eingespielte Formen der sozialen Kontrolle nunmehr an die Stelle rechtlich normierter Restriktionen traten.

Sheffer beschreibt die Gewöhnung an den permanenten faktischen Ausnahmezustand in der Grenzregion, die von einer Teilhabe der lokalen Bevölkerung an den Mechanismen der sozialen Kontrolle geprägt war: "Acceptance grew in part from everyday participation in the border regime." (183) Sie zeigt aber auch die Ambivalenz dieser erzwungenen Anpassung, welche durchaus auch mit Eigensinn und Regelverletzungen einhergehen konnte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die gelungenen "Grenzdurchbrüche" nach 1961, die in vielen Fällen von in der Region Beheimateten ausgingen, häufig spontan waren und nicht selten im Nachgang zu anderen Regelverletzungen erfolgten. Wie auch die Studie von Neumeier gezeigt hat, kehrten die meist jungen männlichen Flüchtlinge häufig nach kurzer Zeit wieder nach Hause zurück. [1]

Sheffers Arbeit schildert zudem, wie die Verbesserung der Kontaktmöglichkeiten durch die innerdeutschen Reiseregelungen der frühen 1970er Jahren, insbesondere durch den "kleinen Grenzverkehr", keineswegs automatisch zu einer größeren Nähe zwischen West- und Ostdeutschen führte. Selbst unter Verwandten waren die Begegnungen vor allem durch das starke Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West beeinträchtigt, mit dem beide Seiten häufig nicht gut umgehen konnten. Gerade wenn es sich bei den Westbesuchern um geflohene ehemalige Sonneberger handelte, erregten Zeugnisse westlichen Wohlstands (z. B. das "Westauto"), die gewollt oder ungewollt zur Schau getragen wurden, oftmals negative Gefühle. Ein Teil der Kontakte scheint so das wechselseitige Fremdheitsgefühl sogar verstärkt zu haben. Die Autorin kommt zu der Einschätzung: "While Neustadters and Sonnebergers gazed at each other from afar, it was, ironically, their intermittent encounters through travel that perhaps most enhanced the sense of East-West difference." (225)

Sheffer ist eine quellengesättigte, gut kontextualisierte sowie hermeneutisch und analytisch anspruchsvolle Studie zum Alltag der deutschen Teilung gelungen, deren Befunde gängige Narrative konterkariert. Sie legt nachvollziehbar dar, wie die physische und politische Grenze - frei nach Alf Lüdtke - zur Abgrenzung von West- und Ostdeutschen durch soziale Praxis führte. Einziger wesentlicher Kritikpunkt wäre, dass sie diesen Aspekt teilweise überzeichnet und Verbindendes vernachlässigt. Dennoch werden in diesem Buch sowohl die Verflochtenheit als auch die Asymmetrien deutsch-deutscher Geschichte in einer Schärfe und Anschaulichkeit deutlich, wie das nur in einer räumlich stark begrenzten Fallstudie möglich ist. Sheffer leistet damit einen wichtigen Beitrag zu der noch keineswegs umfassend erforschten Thematik der innerdeutschen Grenze und der betreffenden Grenzgebiete.


Anmerkung:

[1] Gerhard Neumeier: "Rückkehrer" in die DDR. Das Beispiel des Bezirks Suhl 1961 bis 1972, in: VfZ 58(2010), 69-91.

Roger Engelmann