Michael Epkenhans: Der Erste Weltkrieg, Stuttgart: UTB 2015, 282 S., 35 s/w-Abb., ISBN 978-3-8252-4085-1, EUR 19,99
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Helmut Rumpler (Hg.): Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg. Teil 1: Der Kampf um die Neuordnung Mitteleuropas. Teil 2: Vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zum neuen Europa der Nationalstaaten, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016
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Stig Förster (Hg.): Vor dem Sprung ins Dunkle. Die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1880-1914, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016
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Dirk Sieg: Die Ära Stosch. Die Marine im Spannungsfeld der deutschen Politik 1872 bis 1883, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2005
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Anzuzeigen ist hier ein ganz ungewöhnliches Buch. Eine Gesamtdarstellung des Ersten Weltkrieges, die Handbuch, Studienbuch, Forschungsstandbericht und Diskussionsforum in einem ist. Michael Epkenhans, einer der besten Spezialisten des Ersten Weltkrieges und Direktor des "Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr" in Potsdam hat es tatsächlich geschafft, auf knapp über 250 Text-Seiten ein ebenso profundes wie gut lesbares und perspektivisches Buch vorzulegen.
Hervorstechend ist, dass im Grunde alle Quellentypen für die Darstellung herangezogen werden. Das geht von bislang nicht oder kaum genutzten Archivalien zur Militärgeschichte bis hin zu einer Reihe von lokal- und personengeschichtlichen Studien und Quellenwerken. Hinzu kommen natürlich die einschlägigen gedruckten Quellen. Die wichtigste Forschungsliteratur der letzten 40 (!) Jahre wird - meist mit kurzen Einschätzungen der Qualität - umfänglich rezipiert. Für jeden Lesertyp gleich nützlich sind die vielfältigen Statistiken und Quellenstücke aller Art. Unüblich aber für ein "Seminarbuch" sind die pointierten Gesamteinschätzungen, die extra hervorgehoben werden.
Das Buch beginnt mit einer knappen aber ziemlich kompletten Darstellung der internationalen Beziehungen der Vorkriegszeit. Gegenüber manchen "revisionistischen" Ansätzen der letzten Jahre geht für Epkenhans "kein Weg daran vorbei", dass das Deutsche Reich der größte Unruhe-Faktor war. So hat es keine "Einkreisung" gegeben, wohl aber eine das Denken und Handeln der deutschen Entscheider leitende Phobie, von den anderen Mächten erdrückt zu werden. Es besteht für Epkenhans kein Zweifel, dass der entscheidende Schritt zum Krieg vom Deutschen Reich vollzogen wurde. Aber - und das macht die große Stärke dieses Buches aus - der Verfasser ist zwar dezidiert, nicht um Formelkompromisse bemüht, wie so viele Handbücher, bietet aber das Für und Wider seiner Positionen so materialreich dar, dass er geradezu zur Diskussion einlädt.
Leider bleibt etwas unklar, auf welche Art von Krieg die Verantwortlichen aller Nationen glaubten sich einzulassen. Wie weit war man denn wirklich überzeugt, dass in "Europa die Lichter ausgehen"? Glaubte man nicht doch, lediglich einen kurzen starken Krieg vorbereiten zu müssen, der spätestens um Weihnachten entschieden sein würde?
Vorbildlich gezeigt und für jedermann fassbar wird aber, was es heißt, wenn Millionenheere aufeinander losgelassen werden. Selten einmal kann man so genaue Beschreibungen finden, was es quantitativ bedeutet, wenn eine Armee marschiert. Eine Armee, das sind u.a. auch 84.000 Pferde, für die pro Tag 2 Millionen Pfund Futter herbeigeschafft werden müssen (53). Im Durchgang durch die Ereignisse an den Fronten (das Hauptgewicht liegt aber eindeutig auf der Westfront) werden natürlich die Marne, Verdun und die Somme thematisiert. Bei der Marne-Schlacht vom September 1914 ist die Beschreibung sehr "dicht", allerdings hätte es sich sicherlich gelohnt, die tatsächlich ins Spiel gekommen Variante des "Schlieffenplans" und die Gründe für dessen Scheitern an der Marne mehr auszudifferenzieren. So fehlt ( mir ) etwas die doch unbestreitbare Tatsache der ungeheuren Arroganz der Führer der Angriffsarmeen, die glaubten, dass sich die Franzosen in wilder Flucht befänden, so dass man sie einfach von Paris abdrängen und "vernichten" könnte. Was die Verdun Schlacht von 1916 angeht, so wird auch hier sehr deutlich (auch anhand der Verlustlisten), welche "Hölle" sie tatsächlich darstellte. Allerdings entspricht die von Epkenhans nach wie vor vertretene traditionelle Meinung, dass die deutsche Heeresleitung vorgehabt habe, die Franzosen dort "auszubluten", sicherlich nicht mehr dem in den letzten Jahren erreichten Forschungsstand. Aber es ist ja sicher, dass dieses Buch weitere Auflagen erleben wird...
Die "Michaels"-Offensive vom März 1918, deren Folgeschlachten und die schließliche Niederlage wiederum sind mit sicherer Expertise analysiert und beschrieben. Hervorragend ist die Darstellung des "Frontalltags" der Soldaten. Hier geht es nicht nur um den Schrecken des Schlachtfeldes, sondern auch um die Frage, warum man den Krieg so lange durchgehalten hat. Die Soldaten waren ja nicht die ganze Zeit im Kampfe, und so nutzt Epkenhans die Ruhezeit und das Briefeschreiben der Soldaten, um gleich auch die Verfahrensweisen und Probleme der Briefzensur und der Zensur überhaupt zu erklären. Das macht die Verhältnisse ungemein anschaulich und sehr einprägsam. Der Verfasser zeigt auch das "Live-and-let-live system", der Verständigung der feindlichen Soldaten untereinander. Aber hatte es wirklich Bedeutung? War die Tatsache nicht wichtiger, dass es zumeist nicht einmal mehr die Möglichkeit gab, die Verwundeten aus der Todeszone abzutransportieren?
Epkenhans ist u.a. auch ein sehr erfahrener Marine-Historiker. Das erkennt man bei dem umfänglichen und ganz kompletten Kapitel über den Seekrieg (110-120). Auch hier beginnt er mit den Vorkriegs-Planungen und äußert sich sehr dezidiert über die Durchführung des unbeschränkten U-Boot-Krieges. Deutlich wird das schlicht unverantwortliche Handeln der Marineführung, die sich in Zahlenspielen über Versenkungszahlen erging, ohne auch nur im Geringsten in ihr Kalkül einzubeziehen, dass der Gegner vielleicht Wege finden könnte, die U-Boote abzuwehren.
Ein sehr "starkes" und komplettes Kapitel ist auch das über die Besatzungspolitik in Ost und West. Deutlich werden die großen Unterschiede zwischen West- und Ostfront. Bündig dargestellt sind auch die "belgischen Gräuel" im Herbst 1914, wo 6500 Zivilisten von deutschen Soldaten umgebracht wurden. Das Problem, ob die vorgeblichen Angriffe auf diese durch belgische "Freischärler" wirklich nur Phantasmagorien der deutschen Soldaten waren, wie die von Epkenhans rezipierte Forschung betont, wird sich angesichts der neuesten Veröffentlichungen wohl auch in späteren Auflagen dieses Buches niederschlagen... Dankbar kann man Epkenhans sein für das Kapitel über die Armenier-Gräuel (128). Klarer, differenzierter und eindeutiger lässt sich das auf so engem Raum wohl kaum schildern.
Ab Seite 133 wendet sich das Buch der "Heimatfront" und ihren vielfältigen Problemen zu. Knapp aber differenziert werden "Augustbegeisterung" und "Burgfrieden" thematisiert, in welchem Zusammenhang auch gleich parlamentarische Entwicklungen bis hin zum "interfraktionellen Ausschuss" und dessen konkrete Handlungsmöglichkeiten dargelegt werden. Ganz dezidiert - zu dezidiert? - wendet sich Epkenhans gegen die These von der allmählichen Parlamentarisierung des Reiches im Kriege. Auch hier regt die klare Position zur Diskussion ein, für die Studierenden und ihre Lehrer ein weites Feld.
Weiterer Forschungsbedarf - das zeigt die Darstellung implizit - besteht auch bei der Frage, ob ein Kompromissfrieden 1917/18 möglich gewesen wäre - hätte Deutschland einen solchen tatsächlich angeboten.
Auf 7 Seiten (147-153) werden die Konfessionen im Krieg behandelt, auch hier schafft der Verfasser eine ebenso ausgewogene wie vielfältige Darstellung der Gemeinsamkeiten und der charakteristischen Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Kriegs-Theologen. Es folgt eine Beschreibung des jüdischen Engagements und des neuen Antisemitismus im Krieg, für den die Judenzählung Ende 1916 steht.
Die vielfältigen Probleme der "Heimatfront" zeigen u.a. die Kriegsausstellungen und Nagelungsaktionen, die auch lokalhistorisch "dicht" beschrieben werden. Dazu die "Kinder im Krieg" - das hätte man in einem so knappen Einführung eigentlich nicht erwarten können. Beeindruckt hat mich, wie so vieles, das kurze Kapitel über "Leid und Tod", dem es bei aller Nüchternheit der riesigen Ziffern nicht an Empathie mangelt. Als Quelle wird hier (190) das Tagebuch von Amalie Ebert abgedruckt, der Tochter von Friedrich Ebert, die den Tod zweier Brüder zu beklagen hatte. Ich halte dieses "Seminarbuch" für eine der stärksten Leistungen des Zentenars und wünsche ihm weite Verbreitung.
Gerd Krumeich