Anke John: Lokal- und Regionalgeschichte (= Methoden Historischen Lernens), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2017, 270 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7344-0550-1, EUR 13,50
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Anke John legt in der Reihe "Methoden historischen Lernens" des Wochenschau Verlags ein längst überfälliges Konzept regionalgeschichtlichen Lernens vor. 'Überfällig' deshalb, weil sich die geschichtsdidaktische Forschung bisher an vielfältigen domänenspezifischen Themen abgearbeitet hat, regionales Lernen jedoch seit längerem brachliegende didaktische Potentiale bietet. [1] Daher ist es erfreulich, dass die Autorin nicht nur die einschlägigen Ansätze lokalen und regionalen Lernens aus den 1980er und 1990er Jahren ergänzt. Vielmehr wird in dieser Publikation der Stellenwert des regionalen Lernens in Zeiten einer spürbaren Globalisierung ersichtlich.
Der vorliegende Band entspricht im Aufbau voll und ganz der Wochenschau-Reihe "Methoden historischen Lernens": Er gliedert sich in einen Theorie- und einen Praxisteil. Der Band wendet sich zielgerichtet an zwei Lesergruppen: Lehrkräfte in der schulischen Praxis können mit den methodischen Vorschlägen im unterrichtspraktischen Teil ihren Geschichtsunterricht effektiv an jeweils spezifischen regionalgeschichtlichen Angeboten orientieren. Für Hochschullehrende und Studierende dürfte daneben vor allem auch die 100 Seiten starke Theoriereflexion wertvoll sein. Dort zeichnet die Autorin die gesamte Genese regionalgeschichtlichen Unterrichts bis in die Gegenwart detailliert nach. Die Ausführlichkeit dieser theoretischen Betrachtungen schlägt sich dann auch mit über 30 Seiten nieder. In diesem Kapitel wird rasch deutlich, dass lokalgeschichtliches Lernen immer dem jeweiligen (ideologisch-politischen) Zeitgeist unterworfen war. Dem Nahraum wurde kontinuierlich ein wie auch immer konnotierter Stellenwert für das historische Lernen und damit letztlich auch für historische Sinnbildung zugesprochen, was bis heute anhält. Aktuell könne man aber - so John resümierend - wenig darüber sagen, welche Raumbezüge für Kinder und Jugendliche zur Ausformung ihrer Identität wichtig seien, da empirische Studien fehlen (43).
Die weiteren theoretischen Darstellungen lehnen sich an die Raumdiskurse der vergangenen Jahre an und zeigen, dass regionalgeschichtliches Lernen einen ganz eigenen - im Sinne Johns "originalen" - Zugang zu historischem Denken ermöglicht. Schülerinnen und Schüler hätten nur im Kontext der Regional- beziehungsweise Lokalgeschichte die Möglichkeit, anhand originaler Quellen Geschichtskultur mitzugestalten (11, 45, 99). Ferner werden in diesem Teilbereich didaktische Parameter zur Unterrichtsgestaltung aufgezeigt (Multiperspektivität, Geschichtskultur, Nachhaltigkeit et cetera), mit denen regionales oder lokales Lernen triftig begründet werden kann und schließlich aus der bloßen "Veranschaulichungsecke" herausgehoben werden. Die Raumdimensionen des Lokalen und Regionalen verwendet die Autorin durchgängig synonym. Sicherlich wäre hier eine Trennschärfe, wie dies beispielsweise für die Unterscheidung von Landes- und Regionalgeschichte bei anderen Autoren erfolgte, erforderlich. [2] Beide Raumkonzepte beziehen sich auf einen gesellschaftlichen Nahraum, der aber aus praxeologischer Perspektive erheblich variieren kann: "Lokalgeschichte" meint wohl die Geschichte der klein(st)en räumlichen Einheiten (Kloster, Burg, Dorf, Stadt und so weiter), "Regionalgeschichte" bezieht sich demgegenüber auf größere Raumgebilde, die sich vor allem durch prozess- und strukturbezogene Fragestellungen erschließen lassen. [3]
Regionalität scheint erstaunlicherweise in einer sich immer stärker globalisierenden Welt eine neue Bedeutungsdimension zu gewinnen. Diesen Ansatz greift Anke John im Theorieteil geschickt auf, indem sie lokales Wissen in den Fokus kulturanthropologischer Perspektiven rückt (77). Dort bestehen Forschungsrichtungen, die untersuchen, was alle Kulturen auf dieser Erde gemeinsam haben. Vor allem Christoph Antweiler geht davon aus, dass lokale Denkformen beziehungsweise der Umgang mit lokalem Wissen (ethnologisch auch "indigenes" Wissen) sich weltweit zu ähneln scheinen. [4] Gleichwohl bleibt Antweiler in Bezug auf lokalgeschichtliche Vergangenheit recht wage: Zu fragen wäre im Kontext dieses kulturanthropologischen Ansatzes, inwiefern der Umgang mit lokaler Vergangenheit universellen Mustern entspricht. Vielleicht knüpfte die Autorin hier etwas vorschnell an große Paradigmen der Ethnologie an, die zwar hochinteressant sind, aber auf der Theorieebene viel tiefer durchdrungen werden müssten.
Anke John geht in ihrer zentralen These davon aus, dass spezifische Aspekte des historischen Denkens insbesondere an lokal- und regionalgeschichtlichen Themen generiert werden können. Die Autorin verweist diesbezüglich auf die Chance, Quellen im Originalzustand wie etwa Archivalien oder bauliche Überreste verwenden zu können (45). In den theoretischen Reflexionen wird deutlich, wie die Gestaltung von Geschichtsunterricht, der ganz bewusst regional- und lokalgeschichtliche Akzente setzt, nachhaltig domänenspezifische Aspekte historischen Lernens (Umgang mit Originalquellen respektive Zeitzeugen, Multiperspektivität, Reflexion von Basisnarrativen et cetera) fördern kann. Den Nachhaltigkeitsaspekt bezieht die Autorin auf die direkte Partizipation und Mitgestaltung geschichtskultureller Ausprägungen vor Ort. Insofern ist regionales Lernen keinesfalls bloßes "Abbild" makrohistorischer Bezüge, sondern erhält einen ganz eigenen didaktischen Stellenwert.
Der Praxisteil des Bandes gibt Einblicke in verschiedenste lokal- und regionalgeschichtliche Themenfelder, die von der Durchführung archäologischer Grabungen, über die Rekonstruktion von Flutkatastrophen, Denkmalanalysen, der Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit bis hin zur Beschreibung von regionalem Migrationsgeschehen reichen. Dieses breite Themenspektrum bietet kreative Anregungen für den eigenen Schulort, selbst ein regionales Themensetting zu wählen, an dem Geschichte für Schülerinnen und Schüler konkret erfahrbar wird und an dem sie historisches Denken lernen können.
Die Beispiele im Praxisteil sind so konzipiert, dass sie Schülerinnen und Schülern beispielsweise Zugänge zu originalen Quellen, Zeitzeugen und dem Lokalkolorit der jeweiligen geschichtskulturellen Präsentationsformen ermöglichen. Das ist auch das anvisierte Ziel: Schülerinnen und Schüler lernen, Fragen an regionale Vergangenheiten zu stellen und gewinnen Einsichten in historische Denk- und Arbeitsweisen (127). Hier wird ein bunter, didaktisierter Themenreigen vorgestellt. So zeigt die Autorin etwa am Beispiel thüringischer Hochwasserereignisse aus dem 17. und 19. Jahrhundert, wie ein Thema mit ausgeprägten regionalgeschichtlichen Bezügen auf andere Regionen übertragen werden kann. Dies geschieht mit Hilfe eines leider sehr allgemein gehaltenen Aufgabenteils, der Lernende sowie Lehrende dazu anregen soll, um beim vorliegenden Beispiel zu bleiben, Hochwasserereignisse ihres Heimatortes zu untersuchen.
In summa sind die theoretischen Überlegungen mit ihren klaren Bezügen zur Unterrichtspraxis in der Wochenschau-Reihe "Methoden historischen Lernens" richtig platziert: Anke John macht deutlich, dass Regionalität ganz im Sinne eines erfahrbaren Nahraums vor allem in Globalisierungskontexten, in denen lokale Raumbezüge zunehmend verschwimmen zu scheinen, einen ganz eigenen Stellenwert beanspruchen darf. Die von der Autorin vorsichtig eingeschlagene kulturanthropologische Denkrichtung und ihre Überlegungen zu globalen Raumdimensionen besitzen das Potential, eine eigene - längst überfällige! - geschichtsdidaktische Theorie regionalen Lernens zu entwerfen, welche an gängige theoretische Modelle der Geschichtsdidaktik Anschluss finden sollte.
Anmerkungen:
[1] Dietmar Schiersner: Alter Zopf oder neue Chance? Regionalgeschichte in Historiographie und Geschichtsunterricht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62 (2011), Heft 1 / 2, 57.
[2] Walter Rummel: Landes- und Regionalgeschichte - Komplementärdisziplinen im gesellschaftlichen Umfeld, in: Sigrid Hirbodian / Christian Jörg / Sabine Klapp (Hgg.): Methoden und Wege der Landesgeschichte, Ostfildern 2016, 29-40.
[3] Ebenda, 31.
[4] Christoph Antweiler: Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung, Bielefeld 2011, 181; vergleiche hierzu auch derselbe: Wissenschaft quer durch die Kulturen, in: Hamid Reza Yousefi u. a. (Hgg.): Wege zur Wissenschaft. Eine interkulturelle Perspektive, Nordhausen 2008, 67-94, hier 93.
Andreas Sommer