Rezension über:

Peter Hilsch: Die böhmischen Länder im Mittelalter (= Geschichte in Wissenschaft und Forschung), Stuttgart: W. Kohlhammer 2023, 321 S., ISBN 978-3-17-041704-5, EUR 35,00
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Rezension von:
Alexandra Kaar
Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Alexandra Kaar: Rezension von: Peter Hilsch: Die böhmischen Länder im Mittelalter, Stuttgart: W. Kohlhammer 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/06/40323.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Peter Hilsch: Die böhmischen Länder im Mittelalter

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Wenige deutschsprachige Mediävist:innen wären berufener, für die Kohlhammer-Reihe Geschichte in Wissenschaft und Forschung einen Überblick über die Geschichte der böhmischen Länder im Mittelalter zu verfassen, als der Tübinger Emeritus Peter Hilsch. Seine etwas mehr als 300 Seiten starke Darstellung der Entwicklung der historischen Länder Böhmen, Mähren und Mährisch-Schlesien im Mittelalter versteht die böhmische Geschichte prononciert als eine "europäische Geschichte" (11), die insbesondere eng mit der Geschichte des mittelalterlichen Reiches verflochten ist. Die chronologisch organisierte Darstellung schreitet die erwartbaren ereignisgeschichtlichen Eckpunkte ab (erste Nachrichten aus der Antike und dem Frühmittelalter, Altmähren, Christianisierung und frühe Přemysliden, staufischer Einfluss und Erhebung zum Königreich, späte Přemysliden, insbesondere Wenzel II. und Otakar II., Etablierung der Luxemburger, Karl IV., Wenzel IV., Hus und Hussitische Revolution), setzt aber auch eigene Akzente (Königin Emma, Geschichte der Prager Bischöfe, Geschichte der Juden, Frauen im Hussitismus). Das Buch endet mit dem vorläufigen Ende der Hussitischen Revolution und dem Tod Kaiser Sigismunds 1437, gefolgt von einem kurzen Ausblick auf das Nachleben des Hussitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Dass das übrige 15. Jahrhundert, in dem der fortbestehende Religionskonflikt und das Ringen um die Nachfolge auf dem böhmischen Thron hohe Wellen in ganz Mitteleuropa schlugen, außen vor geblieben ist, darf man bedauern.

Besonders positiv hervorzuheben sind die konsequent über die böhmischen Länder im engeren Sinn hinausblickende Konzeption des Werkes sowie die Rezeption und fachkundige Einordnung der aktuellen tschechischen Forschung durch den Verfasser. Darüber hinaus möchte ich an dieser Stelle auf das Potenzial der Monografie für die Lehre an deutschsprachigen Universitäten hinweisen. Die Geschichte der östlichen und südöstlichen Nachbarländer ist, nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Barrieren, häufig immer noch eine terra incognita sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Umso mehr ist dieses handliche und konzise Einführungswerk zu begrüßen. Der Verfasser setzt die politische und die Kirchengeschichte der böhmischen Länder ebenso wie die Geschichte ihrer Regenten durchweg in Beziehung zu den Entwicklungen in den angrenzenden Ländern. Daher ist das Buch geeignet, um sowohl im Rahmen einer Überblicksvorlesung als auch in einem einschlägigen Seminar Grundlagen der mittelalterlichen Geschichte nicht nur Böhmens, sondern ganz Mitteleuropas zu vermitteln. Explizit positiv hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang Hilschs Entscheidung, jedes Großkapitel mit einem Überblick über die einschlägigen Quellen zu beginnen, den sowohl Studierende als auch Forschende für eine erste Information gern konsultieren werden. Dem Entstehungszeitpunkt des Buches ist es wahrscheinlich geschuldet, dass die Ende 2022 veröffentlichte MGH-Edition der Königsaaler Chronik dabei keine Berücksichtigung mehr fand. [1] Hinzuweisen wäre auch auf die 2020 erschienene, kommentierte lateinisch-englische Parallelübersetzung der Chronik des Cosmas von Prag. [2]

Wer Studierende zum epochenübergreifend vernetzten Denken anregen möchte, könnte bei Hilschs Ausführungen zur mittelalterlichen Kolonisationsbewegung oder zu den sprachlich-ethnischen Verhältnissen in den böhmischen Ländern einhaken (137-139 sowie 150-153, 164, 231-234; zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang auch die bei Hilsch unberücksichtigt gebliebenen rezenten Arbeiten Éloise Addes zur sogenannten Dalimil-Chronik [3] sowie Martin Nodls Monografie zum Kuttenberger Dekret [4]), um Ausblicke auf die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu geben. Vertieftes eigenständiges Arbeiten zu einzelnen Aspekten wird erleichtert durch die Auswahlbibliografie im Anhang, die jedoch mit den in den Anmerkungen nur einmalig zitierten Werken kombiniert werden muss. Hilfreich für mit der Materie weniger vertraute Lesende sind auch die übersichtlich gestalteten Stammtafeln. Gerade angesichts des erkennbaren Bestrebens des Verfassers, trotz des Schwerpunktes auf Herzögen/Königen, Bischöfen und der "hohen Politik" auch der weiblichen Hälfte der mittelalterlichen Bevölkerung Böhmens Raum zu geben, würde man sich wünschen, dass Ehefrauen und Töchter als entscheidende Trägerinnen der zu Recht so stark betonten europäischen Dimension der böhmischen Geschichte in diesen Stammtafeln noch stärker sichtbar wären. Zusätzliche Karten (die einzige Karte auf Seite 304 f. zeigt die böhmischen Länder im Jahr 1378) hätten den Nutzen des Buches für die universitäre Lehre weiter erhöht. Diesen Mankos sollte in einer eventuellen Neuauflage abgeholfen werden, um das Buch zu einem noch wertvolleren Einführungswerk in die mittelalterliche böhmische, aber auch mitteleuropäische Geschichte zu machen.


Anmerkungen:

[1] Anna Pumprová / Libor Jan (Hgg.), Robert Antonín / Demeter Malaťák u.a. (Mitarb.): Cronica Aule regie. Die Königsaaler Chronik (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores; 40), Wiesbaden 2022.

[2] János M. Bak / Pavlína Rychterová (Hgg.), Petra Mutlova / Martyn Rady u.a. (Mitarb.): Cosmae Pragensis Chronica Bohemorum / Cosmas of Prague, The Chronicle of the Czechs, Budapest 2020.

[3] Vgl. z.B.: Éloise Adde-Vomáčka: La Chronique de Dalimil et les débuts de l'historiographie nationale tchèque en langue vulgaire au XIVe siècle, Paris 2016.

[4] Martin Nodl: Das Kuttenberger Dekret von 1409. Von der Eintracht zum Konflikt der Prager Universitätsnationen, Köln u.a. 2017.

Alexandra Kaar